Die Landschaft aus dem Rechner

BILDERFLUT Die gesteigerte Sichtbarkeit und das Recht der Fantasie: Beim 3. Fotofestival der Rhein-Neckar-Region geht es um den Umgang mit der visuellen Dauerberieselung

Der Konsum von Kriegsbildern ist inzwischen eine ebenso alltägliche Routine wie das Abknipsen der immer gleichen Touristenattraktionen

VON RONALD BERG

Als Fotograf sieht sich wohl kaum einer der rund 60 Künstler, die seit letztem Wochenende am sogenannten Fotofestival in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg teilnehmen. Ihnen geht es vielmehr um den Umgang mit der Bilderflut aus den Medien, um Bilder im Kopf und um Sammlungen von Bildern im Privaten wie im Internet. Deshalb ist die Bezeichnung „Fotofestival“ für diese, das dritte Mal in der Metropolregion Rhein-Neckar stattfindende Veranstaltung ein gelinder Etikettenschwindel. Doch für die verantwortlichen Politiker, die das einst als Hertener Fototage bekannte Festival vom Ruhrgebiet in die Nähe zum Industriegiganten BASF holten, spielt das wohl die geringste Rolle. Denn das Chemieunternehmen macht auch diesmal das Festival finanziell erst möglich.

Neben den üblichen Fotoabzügen sind die vorgestellten Bilder ebenso auf Planen gedruckt, in Installationen verarbeitet oder sie werden in den Raum projiziert. Fotografie ist heute ein ziemlich umfassender Begriff geworden, der offenbar auch jene mit der Kamera aufgenommenen Bilder meint, die als Inhalte anderer Medien(-präsentationen) daherkommen.

Aber Vorsicht! Nicht jedes Bild, das wie ein Foto aussieht, ist wirklich eine Fotografie. Am eindrücklichsten macht das ausgerechnet der mit 55 Jahren älteste Teilnehmer des Festivals deutlich. Joan Fontcuberta hat sich von der Sammlung von Reisefotografien aus dem 19. Jahrhundert im Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen inspirieren lassen. Seine dort ausgestellten menschenleeren Landschaften, teils mit schroffen Schluchten und idyllischen Seen, stellen nichts anderes als errechnete Ergebnisse einer Software dar, die beim Militär dazu benutzt wird, Kartenmaterial der Erdoberfläche in anschauliche Landschaften zu verwandeln. So können sich die Soldaten im unbekannten Gelände besser orientieren. Gibt man der Software Bilder von Cézanne oder jene alten Reisefotos statt Karten zur Interpretation, dann bekommt man erstaunlicherweise Landschaften, die sich in ihrer unberührten Exotik den frühen Entdeckerfotografien anverwandeln.

Fontcuberta beweist auf besonders elaborierte Weise die These der beiden Kuratoren des Festivals Esther Ruelfs und Tobias Berger: Die Kunst mache die verborgenen Ordnungen in der allgegenwärtigen Bilderflut am besten deutlich. So geht es in diesem Festival also um Kunst über Fotografie. Die Bilderordnungen, die Ruelfs/Berger ausgemacht haben, gruppieren sich um Themen wie Körper, Krieg, Erinnerung und Sammlung. Im Grunde ist so zu jedem Stichwort eine eigene Ausstellung entstanden.

Bilder nachstellen

Da wären zum Beispiel die Körperbilder in der Kunsthalle Mannheim. Hier wird die Macht der Bilder besonders deutlich, denn das Bild vom Körper, wie es etwa Modemagazine vorgeben, wird von vielen Menschen am eigenen Leibe nachgestellt. Die Künstler kehren das um, indem sie das Rollenbild der Mode als austauschbar vorführen. So etwa Catarine Val, die sich auf einem einzigen Bild gleich in zehn verschiedene und doch ähnliche Stereotype der Hochglanzmagazine verwandelt hat.

Die Nabelschnur, mit der die analoge Fotografie mit dem Realen verbunden war, ist im digitalen Zeitalter durchschnitten. Das fotografische Interface eines Datensatzes lässt sich zwar nun in Sekundenbruchteilen rund um den Erdball schicken, aber ob das, was wir als Bild sehen, wahr ist, kann keiner mehr mit Sicherheit sagen.

Bei Kriegsbildern ist die Entscheidung „wahr oder falsch“ besonders relevant. Gab es tatsächlich Tote, was ist passiert? Ein unbekanntes Männerpaar unterlief das Bildregime der Medienberichterstattung, indem es ihren Eindruck aus dem Irak vier Monate nach dem Einmarsch der US-Army in Form eines Bilderalbums festhielt, wie es Touristen aus dem Urlaub mitbringen. Die Palästinenserin Reem Da’as hat das Album eingescannt und zur Kunst erklärt.

Vor den Monumenten in Bagdads Straßen zu posieren, war natürlich gefährlicher, als Kriegsbilder mit gewöhnlichen Touristenbildern zu collagieren, wie es Randa Mirza tut. Dennoch, Mirza erinnert noch einmal daran, dass das tägliche Kriegstreiben in den Medien uns als Nutzer automatisch zu Voyeuren macht. Der Konsum von Kriegsbildern ist inzwischen eine ebenso alltägliche Routine wie das Abknipsen der immer gleichen Touristenattraktionen.

Erstaunlicherweise zeigen gerade diejenigen Bilder, die im Heidelberger Kunstverein unter der Rubrik „Absenzen“ laufen, dass trotz ständig gesteigerter Sichtbarkeit durch die Medien die Fantasie auf ihrem Recht besteht. Ob die verschwundenen (Propaganda-)Bilder der DDR im öffentlichen Raum bei Margret Hoppe oder das Familienalbum aus DDR-Zeiten mit seinen verschwundenen Wohnräumen bei Anne Schumann, beides wird zum Material künstlerischer Ver- und Bearbeitung. Fantasie und Erinnerung zur Füllung der Leerstellen werden dabei auch an den Betrachter delegiert.

Die vielen beeindruckenden Einzelpositionen auf diesem Festival liefern Modelle im Umgang mit der Bilderflut. Das ist nötiger denn je. Das Festival zeigt mit seiner klugen Auswahl, dass die Kunst als Medium der Welterfahrung so aktuell ist wie eh und je – trotz oder gerade wegen visueller Dauerberieselung. Denn Kunst – das galt schon immer – zeigt nicht nur, sie macht sichtbar.

■ Bis 25. 10. 2009 www.fotofestival.info