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dvdesk Prekäre Balance

Im Jahr 1951 kam eine Broadway-Version von Christopher Isherwoods „The Berlin Stories“ auf die Bühne. Nahe an seinen eigenen Begegnungen und seinem eigenen Erleben hatte der britische Schriftsteller in seinem Band, der rasch zum Klassiker avancierte, die deutsche Variante des Jazz Age und sein Ende geschildert. In einer Vielzahl von Figuren führt Isherwood die Freiheiten der späten Jahre der Weimarer Republik vor Augen, aber auch die Armut, die Kämpfe, den Aufstieg der Nazis. Der damals sehr bekannte Dramatiker John van Druten hatte ein Stück aus Isherwoods Erzählungen aus dem Berlin der frühen Dreißigerjahre gemacht und sich dabei ganz auf die Figur der Sally Bowles konzentriert – im Erzählungsband war sie nur eine unter sehr vielen.

Als 1954 eine Neuausgabe des Bandes erscheint, schreibt Isherwood ein Vorwort, in dem es vor allem darum geht, wie sich das anfühlt, der von einem anderen umgeschriebenen und ergänzten eigenen Biografie am Broadway wiederzubegegnen: „Ich bin kein Individuum mehr. Ich bin eine Kollaboration. Ich bin in der Public Domain.“ Diese erste Erfahrung hat ihn durchaus fasziniert. Das Stück und die Inszenierung und vor allem die Hauptdarstellerin Julie Harris („mehr Sally Bowles als die Sally Bowles meines Buchs“) gefielen ihm gut. Er ahnte allerdings nicht, was ihm in seiner Public-Domain-Ausgabe noch so alles bevorstand. Gut zehn Jahre später nämlich eine Musicalfassung der „Berlin Stories“, die dann, noch einmal umgearbeitet, im Jahr 1972 als Film von Bob Fosse – Titel: „Cabaret“ – mit Liza Minnelli zum mit vielen Oscars gekrönten Welterfolg wurde. Nicht so begeistert wie der Rest der Welt war von diesem Film Isherwood selbst: Weder das Berlin der frühen Dreißiger noch den Erzähler hat er in der aufgebrezelten Version wiedererkannt.

Alles andere als glücklich

Und schon mit einer ersten Verfilmung war er alles andere als glücklich gewesen. Sie wurde 1955 gedreht und trug den Titel „I Am a Camera“, wie die Broadway-Version, auf der sie beruhte. Regie führte der heute vergessene, aber interessante Henry Cornelius, 1913 in Südafrika geboren, 1931 nach Berlin gekommen, Schüler Max Reinhardts, 1933 eine erste Inszenierung am Schiller-Theater, dann als Jude vor den Nazis erst nach Frankreich, dann nach Großbritannien geflohen, dort als Drehbuchautor und Regisseur für englische Komödien der Fünfzigerjahre durchaus prägend. Der Film ist wie das Stück (und später auch „Cabaret“) ganz auf die sexuell selbstbewusste Nachtclubsängerin Sally Bowles konzentriert. Julie Harris spielte Bowles, wie schon am Broadway, in einem Stil, der im Film allerdings als etwas überdreht rüberkommt. Das Drehbuch leidet unter heftigen Rangeleien mit der Zensur: Der schwule Isher­wood (Laurence Harvey, mit kühner Tolle) darf sich zu Beginn als „eingefleischter Junggeselle“ bekennen und die Abtreibung in der Erzählung wird im Film zur Schwangerschaft als falscher Alarm abgebogen.

Nicht nur im Vergleich mit „Cabaret“ ist „I Am a Camera“ dennoch alles andere als uninteressant. Ein Film in prekärer Balance: zwischen Bemühen um Frühdreißiger-Realismus und (anders als bei „Cabaret“ eher unfreiwilliger) Studiokünstlichkeit, zwischen Weimar-Berlin-Freizügigkeit und britischer Fünfziger-Prüderie, zwischen Theater und Film. Einzelne Szenen, vor allem eine komplett aus dem Ruder laufende Party, rutschen auf sehr unterhaltsame Art aus der gesuchten Balance.

Das Erstarken der Nazis spielt im Hintergrund eine wichtige Rolle, gleich zu Beginn ist der Film-Isherwood neben einer Büste mit Pickelhaube zu sehen. Ein gelungenes Ganzes, gar ein Meisterwerk, ergibt das nicht, aber ein spannendes Dokument seiner Zeit ist in der nun erschienenen restaurierten DVD-Fassung allemal zu entdecken. Ekkehard Knörer

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