berliner szenen
: Der geheime Raum aus dem Traum

Wo willst du denn jetzt wieder hin?“, höre ich die Nachbarin meines Vaters an einem Freitagabend fragen, als ihr Sohn die Wohnung verlässt. Er bleibt die Antwort schuldig, lässt die Tür zufallen und stürzt grußlos an mir vorbei die Treppen hinauf. Ganz oben höre ich eine weitere Tür zuknallen und muss grinsen. Ich weiß, wo er ist. Und auch, was er dort macht.

Als Jugendliche habe ich geträumt, dass sich auf dem Dachboden über unserer Wohnung – in der mein Vater noch lebt – Räume befänden, in denen ich mich mit meinen Freunden verstecken und ganze Nächte durchmachen könnte. Ich musste immer als eine der Ersten zu Hause sein, und mein Vater sah es nicht gerne, wenn ich mitten in der Nacht Freunde mitbrachte. Daher schmuggelte ich meine Freunde heimlich in mein Zimmer, indem ich sie im Hausflur im obersten Stock vor dem Dachboden warten ließ, bis mein Vater mir eine gute Nacht gewünscht und sich zum Schlafen zurückgezogen hatte.

Ich war immer davon ausgegangen, dass das mit dem Partyraum unter dem Dach nichts als ein Traum war. Dass sich dort in Wahrheit gar kein begehbarer Raum befände, sondern nur Streben. Bis ich inmitten des monatelang währenden zweiten Lockdowns eines Abends, nachdem ich für meinen Vater einkaufen gewesen war, von oben laute Beats hörte. Und mein Vater erzählte, dass er wegen der Musik bereits in der Nacht davor kaum ein Auge zubekommen hatte. Also ging ich nachsehen. Und tatsächlich: Die Tür öffnete sich, und unterm Dach befanden sich etwa ein Dutzend trinkende Teenager. Kurz überlegte ich, ihnen mit der Polizei zu drohen. Dann dachte ich: Nee. So was macht man nicht. Das erinnert an finstere Zeiten. Außerdem leben sie meinen Traum. So beließ ich es bei der Bitte, ein wenig leiser zu feiern.

Eva-Lena Lörzer