: „Kunst engagiert sich für ein anderes Denken“
Der Exilkubaner Carlos Aguilera liest und diskutiert heute im Literaturhaus Hannover
Carlos Aguilera
52, kubanischer Schriftsteller und Performer im Prager Exil. Seit 2003 unfreiwillig ausgebürgert, erhielt er 2010 das hannöversche Hannah-Arendt-Stipendium für verfolgte Autor*innen.
Interview Knut Henkel
taz: Herr Aguilera, Sie haben Kuba im Jahr 2002 verlassen und 2003 wurde Ihnen dann dort die Einreise verweigert. Ähnliches droht vielen kubanischen Künstler*innen. Was hat die Ausbürgerung für Sie bedeutet?
Carlos Aguilera: Es ist ein brutaler Akt der kubanischen Regierung, ihren eigenen Bürgern und Bürgerinnen die Einreise zu verweigern, sie zu Staatenlosen zu machen. „Destierro“, so viel wie Entwurzelung, nennen wir das auf Spanisch. Mir wurde 2003 von kubanischen Konsul in Wien mitgeteilt, dass ich „unerwünscht“ sei und in Europa bleiben müsse.
Seither haben Sie mehrere Jahre mit Stipendien in Deutschland, aber auch in Spanien und anderen Ländern Europas gelebt. Wie lief die Neuorientierung?
Sie war schwierig, aber ich habe immer Hilfe erhalten. Von Organisationen wie dem Literaturhaus in Hannover, wo ich 2010 ein Jahr mit dem Hannah-Arendt-Stipendium gelebt habe, und wo ich heute lesen werde – Texte aus unterschiedlichen literarischen Phasen, Altes und Neues. Grundsätzlich ist eine Ausbürgerung ein Schock, sie stellt einen Bruch in meinem Leben dar. Es ist schwer zu realisieren, dass man nirgendwo mehr hingehört. Dort unerwünscht ist, wo man aufgewachsen ist, wo die eigene Mutter lebt. Ich habe 2004 noch einmal einen Anlauf unternommen zurückzukehren, habe aber über andere Künstler erfahren, dass mein Name auf einer Liste mit rund 100 Namen von Unerwünschten steht.
Und dann?
Ich habe meine Arbeit fortgesetzt, in deren Kern die kritische, literarisch-poetische Auseinandersetzung mit der kubanischen Realität steht. Die begann zu Beginn der 1990er-Jahre in Kuba, als wir die Zeitung Diáspora(s) herausbrachten, und setzt sich heute mit der Online-Plattform „InCUBAdora“ fort. Die beschäftigt sich mit kubanischer Gegenwartskultur.
Bilder der massiven Proteste im Juli 2021 gingen um die Welt, weniger berichtet wurde über den anhaltenden Konflikt zwischen Künstler:innen und offizieller Kulturpolitik ...
Lesung und Diskussion mit Carlos Aguilera im Literaturhaus Hannover, Do, 9. 6., um 19.30 Uhr
Unbequeme Kunst gibt es spätestens seit den 1970er-Jahren in Kuba. Literatur, bildende und darstellende Kunst haben früh die Politik hinterfragt und über den Freiraum der Kunst im politischen System und die Rolle der Gesellschaft reflektiert. Diese Fragestellung geht weit über das hinaus, was meist die Diskussion dominiert: das Für oder Wider zur kubanischen Revolution. Das Kuba-Bild ist ein schwarz-weißes, wo für bunte, kritische Zwischentöne oft kein Platz ist, die von der Kunst geliefert werden. Sie richtet sich dabei oft nicht einmal gegen die Regierung, sondern schafft Neues, neue Orte außerhalb der staatlichen Strukturen. Kunst engagiert sich für ein anderes Denken. Nur kollidiert das früher oder später mit der offiziellen Kulturpolitik.
Sie gehören der unbequemen Generation der 1990er-Jahre an – was hat sich seitdem in der Kulturpolitik verändert?
Wenig. Es passiert heute nahezu das Gleiche, wie in den 1990er-Jahren, wenn auch auf anderem Niveau. Es gibt eine neue Generation von Künstler:innen, die Freiräume einfordern. Das sind Prozesse, die sich wiederholen und gegen die vonseiten der Regierung immer wieder mit dem gleichen Instrumentarium vorgegangen wird. Das war in meiner Generation auch so. Damals waren wir mit unserer kleinen Zeitung, die wir kopierten und verteilten, jedoch weitaus weniger sichtbar, als es eine kritische Kunstzeitschrift wie „Mujercitos“ heute auf Facebook ist. Die sozialen Netze sind heute ein immens wichtiger Faktor.
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