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Fotografische Arte povera voller Referenzen: In Frankfurt am Main ist nun die bislang größte Einzelausstellung der Fotografin Elina Brotherus in Deutschland zu sehen

Referenz mit trockenem Humor: „Flux ­Hapsikord Concert“ nach einem Konzept von Fluxus-Gründer George Maciunas Foto: © Elina Brotherus, 2022

Von Katharina J. Cichosch

Eine Frau, die am Rande einer malerischen, menschenleeren Landschaft liegt; vollkommen nackt, nur die Scham hält sie bedeckt: Da schwingt eine fotografische Selbstermächtigung mit, klar, aber rasch drängeln auch andere Vorstellungen ins Bild. Je nach Medienkonsum können es Szenen von dahingeworfenen Frauenkörpern aus einer der vielen True-Crime-Serien sein oder Marcel Duchamps Guckloch-Installation „Étant donnés“ mit ihrer darniederliegenden Nackten.

„Ich habe eigentlich an italienische Renaissancemalerei gedacht“, sagt Elina Brotherus, die sich für „Nu Endormi“ 2003 in eine ebensolche Landschaft gelegt und den Selbstauslöser gedrückt hat. So unverhofft können sich kulturelle Unterschiede auftun. Bald landet das Gespräch bei der finnischen Saunatradition, die eigene und fremde Nacktheit von früh an als etwas Selbstverständliches vermittelt – „von Körpern jeglichen Alters und Aussehens“, wie die Künstlerin betont. Auch wenn sie in den letzten Jahren zunehmend darauf achte, mit ihren Bildern keinen voyeuristischen Blick zu bedienen.

Das Fotografie Forum Frankfurt zeigt „In Reference To A Sunny Place“, die bis dato umfangreichste Einzelausstellung von Elina Brotherus in Deutschland. Neben Fotografien aus gut zwei Jahrzehnten sind kurze Videoarbeiten zu sehen, getragen vom lakonischen und wohl auch recht finnischen Humor der Künstlerin. 2014 war Brotherus in einer Gruppenausstellung zu Gast, mit der Serie „Carpe Fucking Diem“, die von schmerzhaften und letztlich erfolglos bleibenden Kinderwunschbehandlungen handelte und ein Jahr später mit einer rotzigen Geste ihren Schluss fand: „My Dog Is Cuter Than Your Ugly Baby“, ein Bild, das sich heute auch gut als Replik an die päpstliche „Macht Kinder!“-Ermahnung eignen würde.

Mit Melancholie und Heiterkeit bringt diese Fotografin Kunst und Existenz zusammen

Die Fotografie mit Mittelfinger und Dackel im Arm gehört zu Brotherus bekanntesten. Vor Kurzem wurde sie in der Mannheimer „Mutter!“-Ausstellung gezeigt. In Frankfurt ist sie nicht zu sehen – aber wie die 1972 geborene Künstlerin Melancholie und Heiterkeit, Kunst und Existenz zusammenbringt, das lässt sich auch hier gut nachvollziehen. Zum Beispiel in der Serie „Artists At Work“, in der die Künstlerin als Akt mit Selbstauslöser im Studio steht und sich zeitgleich von männlichen Künstlern malen und zeichnen lässt – die semi-gelungenen Resultate stehen schließlich urkomisch neben dem fotografischen Selbstporträt.

In den 1990er Jahren wurde Elina Brotherus zu jenen jungen Künstlerinnen und Künstlern der Helsinki School gezählt, die mit neuen Bildsprachen und Formaten experimentierten. Ihr Werk atmet den Geist jener Zeit, in der Fotografien nicht nur in Finnland plötzlich gleichbedeutend zur Malerei werden konnten und Fotografinnen ähnlich wichtig wie ihre männlichen Kollegen. Zugleich ist es nüchterner und reduzierter als die grellen Blitzlichtgewitter einiger Zeitgenossen. Eine dem Leben entrissene Unmittelbarkeit behauptet die Finnin gar nicht erst – und packt einen dann bisweilen umso ärger am Kragen.

Brotherus praktiziert so etwas wie eine fotografische Arte povera, die nicht viel benötigt, um neue Bilder zu erschaffen. Stimmt, bestätigt die Künstlerin: „Es ist ja alles schon da!“ Neben Landschaften, an die sie zum Beispiel Künstlerresidenzen bringen, nutzt sie gern vorgefundene Interieurs. Und die Bilderwelten ihrer Vorgänger:innen: Fluxus, die deutsche Romantik, die Renaissance können als Ideenquelle dienen, ebenso wie Musik oder Literatur.

Nach einer Anweisung von Kollege John ­Baldessari: „Portrait Series (Gelbe Musik with Sun­flowers)“ Foto: ©Elina Brotherus, 2022

Auf Korsika spürte die Finnin dem deutschen Schriftsteller W. G. Sebald nach, dessen posthum veröffentlichte Textfragmente ihr als Reiseführer über die Insel dienten. Sebald wurde im selben Jahr wie die Mutter der Künstlerin geboren, die (genau wie zuvor der Vater) früh verstarb. Auf Korsika wählte Bro­therus auch nach korsischer Tradition besonders hübsche Landstriche aus, die sie als Ruhestätte für ihre Eltern imaginierte. Den spärlichen Wuchs auf einem Inselfriedhof machte sie zu Cyanotypien, Beige auf Blau; das ­fleckige Fotopapier fand Bro­therus im Nachlass ihrer Mutter, die sich mit Ende dreißig nochmal an einer Kunstakademie eingeschrieben hatte.

Partner, Eltern, die eigene Scheidung, der erfolglose Versuch, schwanger zu werden: Das Ich ist der Finnin Arbeitsmittel und Material. Allerdings in einer denkbar pragmatischen wie spielerischen Weise. Dokumentarische Wahrheiten beansprucht sie nicht. Als sich um 2016 herum ein wenig Ermüdung ob des eigenen Motivs breitmachte, suchte die Künstlerin gezielt nach Möglichkeiten, die Karten noch einmal neu zu mischen. Hilfestellung lieferten Künstlerkollegen: die „Baldessari-Assignments“, auf denen der US-Künstler konkrete Anweisungen für noch zu schaffende Bilder vorgab, oder die „One Minute Sculptures“ von Erwin Wurm. Und so taucht Elina Brotherus selbst seitdem auf ihren Fotografien einfach noch in zahlreichen weiteren Variationen auf – von Bäumen hängend, in Räumen und in der Landschaft stehend, nackt oder angezogen, mit Einkaufstüte über dem Kopf posierend und, natürlich, mit ihrem Dackel Marcello auf dem Klavier übend.

Bis18. September. Infos: fffrankfurt.org