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Provenienzforscherin über Raubkunst„Ursprung kaum hinterfragt“

Kathrin Kleibl ist Provenienzforscherin am Deutschen Schifffahrtsmuseum. Sie erforscht die Biografie von Gegenständen wie Schmuck, Kunst oder Möbeln.

Nur wenig konnte in das Exil in Übersee mitgenommen werden Foto: Speicherstadtmuseum Hamburg/Gustav Wer­beck/HHLA­ Fotoarchiv
Interview von Birk Grüling

taz: Was ist Ihre Aufgabe als Provenienzforscherin?

Kathrin Kleibl: Ganz einfach aus­ge­drückt: Ich erforsche die Biografie von Gegenständen – von ihrer Entstehung bis heute. Dabei suche ich vor allem nach den ursprünglichen Eigentümern von Dingen wie Schmuck, Kunst oder Möbeln, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten geraubt wurden. In einem Projekt kümmere ich mich zum Beispiel um Dokumente zu beschlagnahmtem Umzugsgut von jüdischen Familien, die Deutschland verlassen haben und deren Hab und Gut im Hamburger Hafen versteigert wurde. Nach so vielen Jahren ist die Suche nach den damaligen Eigentümern oft eine ziemliche Detektivarbeit, die leider nicht immer erfolgreich ausgeht.

Bild: DSM
Im Interview: Kathrin Kleibl

promovierte 2008 in Klassischer Archäologie und arbeitete als Archäologin unter anderem in politischen Konfliktregionen, wo es immer wieder zur Translokation von Kulturgütern kommt. Seit 2016 ist sie am Deutschen Schifffahrts­museum in Bremerhaven als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sammlung und für NS-Prove­nienz­forschung tätig. Ihr aktueller Schwerpunkt ist der Umgang mit in der NS-Zeit beschlagnahmtem Übersiedlungsgut jüdischer Emi­grant:in­nen in Hamburg und Bremen.

Mit welchen Stücken haben Sie im Alltag zu tun?

Das ist ganz unterschiedlich. Geraubte Kunstwerke sind natürlich medial sehr präsent – nicht umsonst sprechen wir von Raubkunst. Viele jüdische Sammlungen wurden von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und gingen später in den Besitz von privaten Sammlern oder auch Museen ein. Doch es gibt noch andere Dinge. Auch unzählige historische und damit sehr wertvolle Bücher wurden beschlagnahmt und dann an Bibliotheken weitergegeben. Auch wertvolle Musikinstrumente wie Geigen oder Flügel wurden von den Nationalsozialisten geraubt, in Deutschland und in den besetzten Gebieten. Aber natürlich gibt es auch Möbelstücke, Schmuck oder wertvolles Besteck, die den jüdischen Familien gestohlen und später verkauft wurden.

Wie machen Sie die ursprünglichen Ei­gen­tü­me­r:in­nen ausfindig?

Auch dabei gibt es ganz unterschiedliche Wege. Klaviere oder Geigen haben zum Beispiel oft Seriennummern oder Herstellerangaben, die wenigstens erste Anhaltspunkte zu den ursprünglichen Eigentümern liefern. Manchmal stehen in Büchern oder auf Möbeln sogar die Familiennamen. Auch die heutigen Besitzer sind oft eine ergiebige Quelle. Manchmal erinnern sich die Familienmitglieder an Anekdoten der Großeltern zu diesem Stück und liefern damit einen entscheidenden Hinweis für die weitere Recherche. Zum Beispiel wurden viele Möbel aus den besetzten Gebieten in den Niederlanden oder Belgien nach Norddeutschland gebracht und verkauft. Wenn wir also erfahren, dass ein antiker Schrank oder ein Sekretär von den Großeltern im Krieg auf Auktionen in Norddeutschland erworben wurden, haben wir eine heiße Spur.

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Welche Rollen spielen historische Aufzeichnungen? Die Nationalsozialisten sind für eine ziemlich genaue Buchhaltung ihres Schreckens bekannt.

Die Aufzeichnungen der Nationalsozialisten sind tatsächlich sehr detailreich. Man wollte sich schließlich keine Reichsmark durch die Lappen gehen lassen und hat deshalb die Beschlagnahmung der jüdischen Besitztümer sehr genau dokumentiert. Leider können wir nicht alle Stücke auch diesen Aufzeichnungen zuordnen, gerade dann nicht, wenn sie seither mehrfach den Besitzer gewechselt haben.

Suchen Sie bei allen Stücken nach einem ursprünglichen Eigentümer, oder gibt es da Prioritäten? Ist ein Besteckset vielleicht weniger wichtig als ein 200 Jahre altes Gemälde?

Nein, ich versuche nach Möglichkeit für jedes Objekt einen ehemaligen Eigentümer zu finden. Schließlich ist der Wert eines Stücks sehr individuell bemessen. Auch ein Küchentisch kann großen ideellen Wert für eine Familie haben, auch wenn ein solches Stück auf dem Antiquitätenmarkt eher unattraktiv erscheint. Vielleicht war der Tisch lange das Zentrum des Familien­lebens und wurde im Exil schmerzlich vermisst. Eine Priorisierung in Preis­kategorien wäre da völlig fehl am Platz. Viel entscheidender ist die Frage, ob ein Küchentisch heute noch erhalten ist und sich überhaupt zurückverfolgen lässt. Das ist bei einem teuren Gemälde zumindest etwas leichter.

Wissen die heutigen Be­sit­zer:in­nen, dass zum Beispiel Raubkunst an ihren Wänden hängt?

Das ist sehr unterschiedlich. Bei manchen Familien oder auch Museen ist der Ursprung der Kunst eindeutig fragwürdig, und es gibt deshalb auch eigene Bestrebungen, diese Kunstwerke zurückzugeben. Andere Stücke sind schon sehr lange im Familienbesitz, und ihr Ursprung wurde in den letzten 30 bis 40 Jahren kaum hinterfragt oder lässt sich von Laien auch kaum zurückverfolgen. Auch bei historischen Möbeln, die man vielleicht auf dem Flohmarkt kauft, kann man nie sicher sein, dass sie nicht aus enteignetem Familienbesitz stammen.

Gibt es auch in Museen große Bestrebungen, Raubkunst ausfindig zu machen – auch auf die Gefahr hin, wertvolle Stücke aus den Sammlungen zu verlieren?

In den letzten 20 Jahren sehen wir echte Bestrebungen, möglicher Raubkunst wirklich nachzuspüren. Ausgelöst wurde diese erhöhte Wahrnehmung durch die Washingtoner Prinzipien vom 3. Dezember 1998. Damals gab es eine Übereinkunft, das während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmte Kunstwerke ihren Vorkriegseigentümern oder deren Erben zurückgegeben werden sollen.

Ich denke, wir scheitern heute eher an fehlenden Aufzeichnungen oder Hinweisen zur Herkunft der Sammlungsgegenstände als wirklich am Unwillen der Häuser. Kritisch sehe ich, dass Provenienzforschung an den meisten Museen nur in zeitlich befristeten Projekten durchgeführt wird. Diese teils sehr kniffligen Forschungen stellen jedoch eine Daueraufgabe für Museen dar. Hier sollte ein Umdenken auch seitens der Politik erfolgen, Provenienzforschende sollten als feste Grundausstattung eines Museums­teams begriffen werden.

Haben Sie eigentlich eine rechtliche Handhabe, dass Stücke herausgegeben werden?

Nein. Als nach Kriegsende die ersten Bestrebungen aufkamen, den jüdischen Familien ihr Eigentum zurückzugeben, war es aber noch deutlich schwieriger. Sie mussten aus dem Exil Listen mit ehemaligen Gütern erstellen, und in Deutschland hat man versucht, diese Wertgegenstände zum Beispiel anhand der Versteigerungslisten ausfindig zu machen. Selbst wenn das geklappt hat, war die Bereitschaft der neuen Besitzer zur Rückgabe ziemlich gering. Die Ausreden von damals waren sehr abenteuerlich – niemand wollte sich seiner Mittäterschaft stellen. Heute ist das anders. Eigentlich will niemand Raubkunst in seinem Wohnzimmer oder den Ausstellungsräumen hängen haben, schon gar nicht, wenn der Ursprung auch noch öffentlich bekannt ist. Das heißt, wir erleben eine bessere Kooperation vonseiten der heutigen Besitzer, auch ohne rechtliche Handhabe.

Wie reagieren eigentlich die Erben darauf, wenn Sie ihnen die ehemaligen Familienbesitztümer zurückgeben wollen?

Ich mache immer wieder sehr schöne Erfahrungen. Wir haben bei uns im Deutschen Schifffahrtsmuseum einen riesigen In­dus­trie­mo­tor als Ausstellungsstück. Irgendwann stellte sich heraus, dass dieser Motor eigentlich aus einer ehemaligen Walk- und Strickfabrik in Regensburg stammte. Diese Fa­brik gehörte einer jüdischen Familie und wurde enteignet. Ich konnte nach langer Suche die Erben ausfindig machen. Sie wollten den Motor nicht zurückhaben, aber sie waren gerührt von unserer Mühe.

Heute ist der Motor eine Leihgabe der Familie. Im Museum wird nun die Geschichte seiner Herkunft erzählt. Außerdem habe ich mit meiner Anfrage bei der Familie eine stärkere Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte angestoßen, inklusive Kontakt zu entfernten Verwandten in den USA. Die Fabrik in Regensburg ist heute eine Schule, und dort entstand jetzt ein Schulprojekt zur Aufarbeitung der Geschichte des Gebäudes. Es ist auch für mich ein schönes Gefühl, somit eine sinnvolle Arbeit getan zu haben. Aber natürlich gibt es auch Angehörige, die kein großes Interesse daran haben, sich mit diesem traurigen Teil der Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Sie behellige ich natürlich auch nicht unnötig.

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