Artensterben auf Hamburger Elbinsel: Frösche auf dem Trockenen

Die Froschpopulation auf Feuchtwiesen in Hamburg-Wilhelmsburg ist eingebrochen. Pflanzenschutzmittel und Trockenheit werden als Ursachen vermutet.

zwei Frösche auf einer Hand mit Latex-Handschuh

Zeigen, wie es der Umwelt geht: zwei Grasfrösche auf der Hand eines BUND-Mitarbeiters Foto: Nicolas Amer/dpa

HAMBURG taz | Naturschutzorganisationen in Hamburg haben auf den dramatischen Rückgang einer Amphibienpopulation auf Hamburgs Elbinsel Wilhelmsburg aufmerksam gemacht. Auf den Stiftungsflächen für Naturschutz gehe der Bestand seit 2015 Jahr für Jahr zurück, teilte der Umweltverband BUND mit.

Noch vor 20 Jahren sei der Deich in diesem Gebiet kaum befahrbar gewesen, ohne vorher die wandernden Frösche beiseite zu räumen. „Heute ist zur Laichzeit kaum noch ein Frosch, eine Kröte oder ein Molch dort unterwegs“, stellen die Naturschützer fest. Für ganz Wilhelmsburg sei bei den Kartierungen 2003 und 2012 „ein auffallend negativer Trend für alle Amphibien“ deutlich geworden, bestätigt die Hamburger Umweltbehörde.

Das Verschwinden der Amphibien ist zum einen von Belang, weil es sich um besonders empfindliche Spezies handelt. Was sich bei den Amphibien abspielt, kann als Frühwarn­signal für das ganze Ökosystem gelten. Zum anderen sind sie ein wichtiges Glied in der Nahrungskette. „Wenn das so weitergeht, wird auch das einzige Storchenpaar auf Wilhelmsburg bald keine Nahrung mehr finden“, sorgt sich die BUND-Landesvorsitzende Christiane Blömeke.

Der Wilhelmsburger Osten ist zwar eingeklemmt zwischen den zwei Autobahnen, der Elbe und einer Hochhaussiedlung, steht aber für eine Landschaft, wie sie in weiten Teilen Norddeutschlands anzutreffen ist: von großen und kleinen Gräben durchzogene Nass- und Feuchtwiesen, die meist extensiv bewirtschaftet werden und nicht nur Amphibien, sondern auch Vögeln und Fischen einen Lebensraum bieten. Allein 55 gefährdete Pflanzenarten hat der BUND hier gezählt.

Gefahr des Artensterbens

Gisela Betram von der Stiftung Ausgleich Altenwerder findet es besonders bedenklich, dass die Tiere nicht nur auf den Feldern verschwinden, sondern auch auf Flächen, die dem Naturschutz gewidmet sind, und Pflanzen und Tieren beste Lebensbedingungen bieten sollten. „Das ist die zweite Welle des Artensterbens“, sagt Bertram.

Einen Grund für das Verschwinden der Amphibien sieht Axel Jahn von der Loki-Schmidt-Stiftung zum Schutz gefährdeter Pflanzen darin, dass in den vergangenen Jahren zunehmend Herbizide versprüht worden seien. „Der Maisanbau hat auf Wilhelmsburg in den letzten Jahren deutlich zugenommen und mit ihm der Einsatz des Wirkstoffes Glyphosat, der leider auch in die Gewässer gelangt“, kritisiert Jahn. Einmal in einen Graben gelangt, breite sich das Glyphosat im gesamten Wasserkörper aus, werde von Organismen aufgenommen und gelange so in die Nahrungskette – vom Insekt über den Frosch bis zum Storch.

Glyphosat ist höchst umstritten, weil es sämtliche unerwünschten Pflanzen abräumt und überdies im Verdacht steht, krebserzeugend zu sein. Der Bayer-Konzern ficht deshalb teure Rechtsstreitigkeiten in den USA aus. Die Bundesregierung hat erklärt, sie strebe an, Glyphosat bis Ende 2023 vom Markt zu nehmen.

Selbst wenn das Glyphosat verschwinde, blieben reichlich andere Herbizide übrig, sagt Bertram. Jahn verweist auf Studien, die an Insekten gleich mehrere verschiedene Spritzmittel fanden. Er fordert deshalb „gesetzlich geregelte Abstände, innerhalb derer keine Spritzmittel eingesetzt werden dürfen“.

Gesa Kohnke-Bruns von der Landwirtschaftskammer wundert das. „Es gibt für jedes Spritzmittel eine Abstandsregelung“, sagt sie. Diese werde mit der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels getroffen. Generell ist laut Umweltbehörde ein Abstand von fünf bis zehn Metern vorgeschrieben.

Kohnke-Bruns erinnert daran, dass Landwirte alle drei Jahre ihre Sachkunde im Pflanzenschutz nachweisen müssten. Moderne Spritzmaschinen ließen sich zudem sehr fein steuern. Sie vermutet, dass es eher die trockenen Sommer der vergangenen Jahre waren, die den Amphibien geschadet haben.

Die Trockenheit halten auch die Naturschützer für eine mögliche Ursache. In den Sommern 2018 bis 2020 hätten die Wettern und Gräben deutlich weniger Wasser geführt, sagt Gisela Betram von der Stiftung Ausgleich Altenwerder. Dabei sei in der Elbmarsch auch in trockenen Sommern sonst reichlich Wasser vorhanden, und die Wasserstände könnten technisch höher eingestellt werden. „Wir haben das Wasser, wir müssen uns nur darauf einigen, dass wir im System mehr vorhalten“, sagt sie.

Trockengefallene Gräben

Tatsächlich war die Höhe der Wasserstände im Grabensystem jahrelang Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen Naturschützern und den Wasserverbänden, die das System im öffentlichen Auftrag regulieren und instand halten. In jüngster Zeit war es darum ruhig geworden.

Laut der Kartierung von 2012 hätten vor allem trocken gefallene Gräben zu einer Reduzierung der Amphibien-Populationen geführt, bestätigt die Umweltbehörde. Mittlerweile seien aber sehr viele Gräben und einige Flachwasserzonen wiederhergestellt worden.

„Vielleicht waren die Wasserstände eine Zeitlang okay“, sagt Bertram. „Aber der Klimawandel mischt die Karten neu.“ Bei der nächsten Verbandsversammlung werde sie dazu das Gespräch suchen.

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