: Moderne Kriege
Nicholas Mulders international erste Geschichte der politischen Sanktionen
Nicholas Mulder: „The Economic Weapon: The Rise of Sanctions as a Tool of Modern War“. Yale University Press, New Haven 2022, 448 Seiten, 37,46 Euro
Von Lennart Laberenz
Oligarchenvillen, Swift, der Chelsea FC, vielleicht auch Gas und Öl – grade ist hohe Zeit der Sanktionen. Wie passend, dass der Historiker Nicholas Mulder eben eine präzise Geschichte der Sanktion als ökonomische Waffe in modernen Kriegen veröffentlicht hat.
Als der Völkerbund 1920 im spanischen San Sebastián tagt, setzt sich der britische Außenminister Arthur Balfour vor Journalisten und erklärt, dass man eine ökonomische Waffe brauche: „Keine Nation wird sich zerstören wollen, indem es so eine Strafe gegen sich einlädt.“ Es hat frühere Formen gegeben – die Blockade des Hafens von Megara 432 v. Chr. –, aber internationale Maßnahmen hatten ein anderes Gesicht: Sanktionen gegen Krieg führende Parteien, aber auch gegen im weiteren Sinne aggressive Staaten sollen Kriege beenden oder Konflikte vermeiden, bevor das Militär loslegt. Solche Absprachen mussten juristisch geklärt und prozedural vorbereitet werden.
Mulder blickt auf die Sanktion als Ergebnis der heraufziehenden Moderne und damit auf Staaten in ihrer Phase administrativer Festigung; auf Wirtschaftskreisläufe, die bereits eng vernetzt, aber oft noch nicht erfasst waren. Sanktionspolitik musste sich gegen nationale Interessen und Neutralitätsgedanken durchsetzen. Sanktionen wurden als politisch angenehme Erlasse kritisiert, die mit einem Federstrich fürchterliches Leid von Unbeteiligten durchsetzten.
Die Spielarten des Liberalismus in Europa hatten sehr unterschiedliche Haltungen zu Maßnahmen, die Gesellschaften heftig trafen – außerdem waren noch im 19. Jahrhundert Wirtschaft und Handel vom Krieg ausgenommen.
Der Erste Weltkrieg hob unter anderem mit dem Maschinengewehr die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten auf, und er machte den Weg frei für den Gedanken, das Wohlergehen der Zivilbevölkerung als Druckmittel gegen eine Krieg führende oder aggressive Regierung einzusetzen. Heute akzeptieren wir das problemlos. Aber Sanktionsgewalt war ursprünglich nur ein Teil der Völkerbund-Idee: Ein positives Instrumentarium – finanzielle und logistische Hilfe – wurde nie formalisiert. Zeitgenossen ahnten mit Blick auf die letzten Kriegsjahre und die Sanktionen der Entente gegen das Deutsche Reich, dass Sanktionen „permanenter Teil der Maschinerie der organisierten Menschheit“ werden würden.
Sie konnten auch kontraproduktiv wirken. Sanktionen verschlimmerten die wirtschaftliche Lage in den 1930ern, die Antwort der NS-Regierung war der Vierjahresplan mit den Zielen Autarkie und Kriegsfähigkeit. So wurden, Mulder zufolge, die Sanktionen Teil einer Dynamik territorialer Expansionen Deutschlands und Japans. Zumindest ließen sie sich propagandistisch dafür ausschlachten. Diesen Teil der Geschichte scheint sich auch Wladimir Putin gemerkt zu haben.
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