Queerer Coming-of-Age-Roman: Der Welt einen Stoß versetzen

In ihrem zweiten Roman „Die Eistaucher“ erzählt Kaśka Bryla von Unrecht und Eifersucht, Verbundensein und Verantwortung unter Jugendlichen.

Kaska Bryla mit einer gelben Bluse vor einer blauen Wand

Die Autorin Kaśka Bryla Foto: Carolin Krahl

Sie lernen sich an einer katholischen Privatschule kennen – Iga, Jess und Ras, „die Eistaucher“. Während sie Mitschüler wie Rainer haben, der Barbour-Jacken trägt und Rilke oder Bachmann rezitiert, sind die Eistaucher queer, migrantisch und so vieles mehr, was man an diesem Ort zunächst nicht erwarten würde: Über Iga schwebt die Drohung, zu ihrem Vater nach Polen ziehen zu müssen, sollte sie sich einen weiteren Schulverweis einhandeln.

Darüber denkt sie nach, wenn sie auf dem Longboard in die Schule surft: dass sie nicht nach Polen will, wo sie niemanden kennt und die Sprache schlecht spricht.

Ras’ Familie kommt aus Russland und hat es dennoch geschafft, „aus dem Nichts heraus“, wie er – Rasputin – immer wieder hört. Jess ist hübsch, selbstbewusst und stets gut gekleidet, ihr Vater war Schneider, allerdings lebt er nicht mehr. Das Geld kam erst mit dem Stiefvater Ernst. Dass sie queer ist, stellt Kaśka Bryla, die Autorin, in keinem Moment als Problem dar, im Gegenteil.

„Das Besondere zum Allgemeinen zu machen“, diesem Unterfangen widmete sich Bryla bereits in ihrem ersten Roman „Roter Affe“. Bei den „Eistauchern“ – ihrem zweiten Buch – führen fast alle Jugendlichen queere Beziehungen, und nicht mal den unangenehm regelkonformen und überengagierten Lehrer Hochleithner stört es.

Opfer, Täter, Feigling

Bryla beschreibt drei Jugendliche, denen bewusst wird, wie ungerecht die Welt ist, und die dieser teilweise auf naive Art und Weise einen Stoß versetzen wollen, um die Dinge wieder zurechtzurücken. Dann passiert die Sache mit Maja. Sie wissen, dass es nicht an ihnen ist zu richten, und dennoch können sie es nicht hinnehmen. Allerdings ist ihnen nicht bewusst, welches Ausmaß der Ruck haben wird, zu dem sie ausholen.

Zwanzig Jahre später betreibt Brylas Ich-Erzähler Saša einen Campingplatz in einem Naturschutzgebiet, umgeben nur von Wald und Friedhöfen, im Winter kommen die Wölfe.

Nach vielen Jahren in der Klinik blickt er zurück auf seine Geschichte und die der Eistaucher und wie sie schließlich zusammenliefen: „Immer ist da jemand, dem Unrecht angetan wird, und immer ist da jemand, der zusieht, ohne einzuschreiten. Als Kind stellt man sich die Frage, wer man lieber wäre. Das Opfer oder der Feigling. Als Kind habe ich mich nie gefragt, wie es wäre, der Täter zu sein.“

Saša war Igas bester Freund, bevor sie Jess und Ras kennenlernte. Jetzt sind sie alle Familie füreinander. Aber Saša ist auch ein Täter, er hat eine Frau vergewaltigt und nicht nur das. Teilweise ist es schwer zu ertragen, dass dennoch er es ist, der die Geschichte erzählt, aus feministischer Perspektive lässt sich diese Entscheidung kritisieren.

Jahrhunderte toxischer Männlichkeit und Rape Culture

Aus Sašas Innenansichten sprechen Jahrhunderte von toxischer Männlichkeit und Rape Culture. Was genau passierte, lässt Bryla bis zuletzt nicht durchscheinen, außer, dass es entgleiste, dass zwei Polizisten im Spiel waren, dass Molotowcocktails flogen und dass es brannte, mehr als erwartet.

Die Autorin macht es sich und den Lesenden mit ihren Figuren nicht leicht. Sie sind ambivalent und widersprüchlich, vor allem Saša, aber auch Franziska, die Französischlehrerin. Sie flirtet mit Iga und trifft sich außerhalb des Unterrichts mit ihr. Missbrauch ist eine der ersten Assoziationen mit katholischen Privatschulen. Wie verhält es sich, wenn eine Lehrerin wie Franziska Fellbaum, jung, lässig und nahbar, eine Beziehung zu einer Schülerin anfängt?

Bryla verwebt Fragen von Unrecht und Eifersucht, Verbundensein und Verantwortung gekonnt in einen bis zur letzten Seite spannenden Plot. „Was wäre eine Handlung wert, wenn man wüsste, dass man sie rückgängig machen kann?“ Immer wieder stellt Saša solche Überlegungen an: „Wenn man weder ein Risiko einzugehen bräuchte noch Schuld auf sich laden müsste?“

Mit Igas altem Longboard reist er durch die Zeit, es bringt ihn an die Wendepunkte seines Lebens zurück, in die Momente, in denen er sich anders entscheiden könnte. Gewaltvoll wie feinfühlig verhandelt Bryla, woran wir glauben, wenn wir jung sind, und was davon mit den Jahren noch übrigbleibt.

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