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Viel Licht um nichts

Zwei Jahre später als geplant wird in Wolfsburg nun geballte Lichtkunst gezeigt. Als Überblick taugt die Ausstellung. Ihr politischer Anspruch erschöpft sich aber schon mal in allzu bekannten Deutungszusammenhängen

Von Bettina Maria Brosowsky

Einfach eine Rezension liefern – so kann im Augenblick wohl niemand funktionieren. Und mit solch persönlicher Disposition urteilt man dann vielleicht unfair über aktuelle Kulturaktivitäten, ihre Berechtigung oder – auch mal selbsterklärte – Relevanz. Im vorliegenden Fall betrifft das die Ausstellung „Macht! Licht!“, die bis Anfang Juli das Kunstmuseum Wolfsburg zeigt.

Sie sollte eigentlich im Sommer 2020 stattfinden, parallel zum fünften Braunschweiger Lichtparcours; wurde dann aber aus den bekannten, nämlich pandemischen Gründen um fast zwei Jahre verschoben. Wie der Titel proklamiert, will sich die Ausstellung mit der machtpolitischen Dimension des künstlichen Lichts beschäftigen, sei sie persuasiv, subversiv, repressiv oder schlicht nur dekorativ. Dafür sind rund 80 Exponate von 60 internationalen Künstler:innen im fast tageslichthellen Raum der zentralen Halle versammelt; im Wesentlichen aus der Kategorie stammend, die man landläufig als Lichtkunst bezeichnet.

Aber was ist eigentlich künstliches Licht, oder umfassender: künstlich erzeugte Helligkeit? In Wolfsburg wird der Eindruck erweckt, dass ein Bewusstsein für dieses Phänomen erst mit der elektrischen Beleuchtung aufkam, also um die Wende zum 20. Jahrhundert, und zu einem registrierbaren Untersuchungsgegenstand wurde – was natürlich nicht stimmt. Die kuratorische Verkürzung mag pragmatische Gründe haben, etwa um einem gedanklichen Ausufern vorzubeugen oder nicht mehr zu bewältigenden Massen möglicher Exponate. Sie lässt dann aber leider, auch in der ergänzenden Publikation, kulturgeschichtliche Grundlagen im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln; Grundlagen, ohne die sich die zivilisatorische Bandbreite der künstlichen Helligkeit eigentlich nicht erfassen lässt, die wiederum die Basis für die Auswahl der zu zeigenden Kunst hätte sein können.

Im Selbstversuch lässt sich erahnen, wie tiefgreifend die „weiße Folter“ aus konstant hoher Beleuchtungsstärke auf die physische Verfassung einwirkt – je­de:r braucht regelmäßig Dunkelheit

Fasziniert vom Feuer

Ein:e je­de:r weiß wohl um die kollektivierende wie auch häufig ideologisch missbrauchte Faszination eines offenen Feuers. Auch die symbolische Kraft brennender Barrikaden im politischen Aufbegehren ist bekannter Topos, und sei es bei einem Gipfeltreffen wie jener Zusammenkunft der G20 im Jahr 2017 in Hamburg. Zu wohl jeder Rebellion gehört, meist zu Beginn, wiederum das Zerstören der öffentlichen Beleuchtung, wird diese doch als Repräsentation eines obrigkeitlichen Überwachungsmonopols interpretiert; ein Lob somit auch der anarchischen Kraft der Dunkelheit. „Alles, was leuchtet, sieht“, steuerte Gaston Bachelard 1960 in seiner Schrift „Poetik der Raumes“ in psychoanalytischer Deutung der Straßenbeleuchtung bei. Heute müsste er seinen Gedankengang um die allgegenwärtigen Überwachungskameras erweitern, die dank Infrarottechnik auch in der Dunkelheit ihre Arbeit verrichten. Im aufrührerischen Paris kurz vor der Französischen Revolution kam das Delikt der Laternenzerstörung der Majestätsbeleidigung gleich. Kaum verwunderlich, wenn die stabilen Wandarme der öffentlichen „Réverbères“ nur wenig später als Galgen fungierten – für besonders verhasste Vertreter des Ancien Régime. Als „laternisieren“ hielt das Verb, weniger auch die so bezeichnete Praxis, dann auch in deutschen Landen Einzug.

Systemkritische Exponate

Mit solch politaktivistischer Basiskenntnis im Hinterkopf klopft man dann die Wolfsburger Exponate auf ihren systemkritischen Gehalt ab. Was kann uns dann aber eine Leuchtschrift sagen, die wechselnd „DEATH“ und das Textrudiment „EAT“ erscheinen lässt – ob sie nun vom hannoverschen „Totalkünstler“ Timm Ulrichs stammt oder von Bruce Nauman? Auch „OK“ in Grün und „NO“ (ja, in Rot), eingerichtet vom feministischen Künstlerkollektiv Claire Fontaine, erschöpft sich schnell in einem bekannten Deutungszusammenhang. So geht es durch viele Objekte weiter, befassen sie sich in einer eindrucksvollen Hängung aus Dutzenden Neonschriftzügen nun mit der „Pizzagate“-Fake-News-Kampagne aus dem Präsidentschaftswahlkampf Donald Trumps 2016 – oder zeigen Angela Merkels stilisiertes Konterfei, ihm gegenüber ihren berühmter Spruch „Wir schaffen das“.

Eindringlicher ist da schon die kleine Gefängniszelle, die Gregor Schneider entsprechenden Räumen in Guantanamo nachgebildet hat: Im kurzen Selbstversuch lässt sich erahnen, wie tiefgreifend die „weiße Folter“ aus konstant hoher Beleuchtungsstärke auf den menschlichen Biorhythmus und die physische Verfassung insgesamt einzuwirken vermag – je­de:r braucht regelmäßige Intervalle der Dunkelheit. Nana Petzets Dokumentation einer blau leuchtenden „Lichtfalle“ im Hamburger Hafen führt die weltweite Lichtverschmutzung urbaner Räume vor Augen, ihre zerstörerischen Folgen für die Insektenpopulationen und damit der Biodiversität. Aber sollte man solch Forschungsanliegen nun zu einem Ausstellungsobjekt ästhetisieren? Unverständlich auch, dass nur wenige Objekte überhaupt mit der Dunkelheit arbeiten, so das kleine mechanische Schattentheater von Christian Boltanski. Oder Mariana Vassileva in ihrem obeliskartigen Objekt aus in Teilen zerstörtem Maschendraht: Darin hängt eine einsame Glühlampe, die auf- und abdimmt, analog der menschlichen Atemfrequenz.

So bleibt die Ausstellung ein gut gemachter Überblick über die Lichtkunst; eine recht junge Gattung, die in den 1960er-Jahren aufkam und ihre innovative Kraft vorrangig als konfrontative Ästhetik im öffentlichen Raum entfaltete. Aber nicht nur ihr formal monotones Repertoire aus Neon-Buchstaben, Leuchtstoffröhren oder Leuchtkästen, so scheint es, ist dann leider auch in jenen Jahren stecken geblieben.

„Macht! Licht!“: bis 10. 7., Kunstmuseum Wolfsburg

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