: Studienplätze gegen medizinische Wüsten
Auf dem platten Land mangelt es in Niedersachsen an Hausärzten. Die Landesregierung schafft nun 60 zusätzliche Studienplätze. Die Medizinstudierenden müssen sich aber für zehn Jahre zur Arbeit auf dem Land verpflichten. Sonst drohen 250.000 Euro Strafe
Von Reimar Paul
In Niedersachsen kommt die sogenannte Landarztquote zur Sicherung der medizinischen Versorgung auf dem Land. Künftig sollen 60 Medizin-Studienplätze jährlich an Bewerberinnen und Bewerber gehen, die zusichern, später für mindestens zehn Jahre als Hausärztin und Hausarzt auf dem Land zu arbeiten. Die Regierungsfraktionen von SPD und CDU stimmten am Dienstag im Landtag für ein entsprechendes Gesetz. Die Grünen enthielten sich, die FDP stimmte dagegen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die ersten zweckgebundenen Medizinstudienplätze zum Wintersemester 2023/24 besetzt werden – ein Jahr später als ursprünglich geplant. Die Studienplätze sollen zu gleichen Teilen in Hannover, Göttingen und Oldenburg besetzt werden. In den Bewerbungsverfahren sollen neben der klassischen Durchschnittsnote weitere Qualifikationen stärker berücksichtigt werden, etwa eine vorherige Berufserfahrung.
Im Flächenland Niedersachsen gelten viele Regionen als allgemeinmedizinisch unterversorgt. Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) sagte, dass zurzeit zwar so viele Ärztinnen und Ärzte in der ambulanten Versorgung in Niedersachsen arbeiteten wie noch nie zuvor, „dennoch droht gerade im hausärztlichen Bereich ein Ärztemangel, der sich unter anderem durch den demografischen Wandel, die Konzentration auf die Städte, die erhöhte Nachfrage nach ärztlichen Leistungen, eine erhöhte Teilzeitrate und weitere Faktoren erklärt“. Behrens zufolge sind bereits jetzt mehr als 70 Prozent der rund 5.000 niedergelassenen Hausärzte im Bundesland älter als 50 Jahre.
Die FDP-Fraktion begründet ihre Ablehnung des Gesetzes im Kern damit, dass für Bewerberinnen und Bewerber eine Strafzahlung von 250.000 Euro vorgesehen ist, wenn sie ihrer Verpflichtung, auf dem Land zu arbeiten, nicht nachkommen. Vertreter der beiden Mehrheitsfraktionen hatten dagegen betont, dass es sich dabei um Einzelfallentscheidungen handele und nicht zwangsläufig mit dieser hohen Summe enden müsse, wenn es etwa persönliche Gründe gebe.
Die niedersächsische Landesregierung setzt neben den neuen Studienplätzen auch auf regionale Versorgungszentren (RVZ), um die medizinische Versorgung in der Fläche zu verbessern.
Im Landkreis Cuxhaven ist in Nordholz Anfang März das erste von fünf geplanten RVZ in Betrieb genommen worden. Dort werden zwei angestellte Hausärzte arbeiten. Dazu gibt es eine gynäkologische Praxis und eine für Physiotherapie. Eine Tagespflege, ein Sanitätshaus und ein Café sollen noch dazukommen.
1,38 Millionen Euro hat das Land hat zu der Einrichtung zugeschossen. Kreis und Gemeinde trugen etwa fünf Prozent. Den künftigen Betrieb werden sich Kreis und Gemeinde teilen. Bei ihnen sind die Ärzte in einer gemeinnützigen GmbH angestellt.
Weitere regionale Versorgungszentren entstehen in Nordenham, Alfeld, Baddeckenstedt und Auetal.
Die Grünen hatten in der Vergangenheit Zweifel daran geäußert, ob sich junge Menschen bereits zu Beginn eines langen Medizinstudiums festlegen wollen, welchen Beruf sie später einmal ausüben. Zugleich drängen die Grünen auf weitere und schnellere Maßnahmen für den ländlichen Raum. So ergebe es beispielsweise mehr Sinn, Niederlassungen in der Fläche zu fördern und den Aufbau regionaler Versorgungszentren zu beschleunigen, argumentiert Grünen-Gesundheitspolitikerin Meta Janssen-Kucz.
Die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsens (KVN) begrüßt das Gesetz zur Landarztquote. Es sei „ein weiterer Baustein, um den Hausärztemangel in Niedersachsen zu beheben“. Diese Quote sei allerdings kein Allheilmittel. Denn selbst wenn alle angekündigten Maßnahmen vollständig umgesetzt würden, habe dies bis 2035 keine nennenswerten positiven Effekte auf die Versorgung. Erst danach sei langsam mit spürbaren Effekten zu rechnen. Um die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum zu verbessern, fördert die KVN nach eigenen Angaben etwa Praxisübernahmen in Regionen, die von einer ärztlichen Unterversorgung bedroht sind.
Die Regierungsparteien SPD und CDU wollten die Landarztquote ursprünglich schon für dieses Jahr einführen. Sie verschoben den Vorstoß, weil sie die zeitlichen Abläufe für das Bewerbungsverfahren für 2022 als zu knapp erachteten. Die Studieninteressierten hätten sich im März für das kommende Wintersemester bewerben müssen. Bis dahin hätte das Verfahren noch im Detail erarbeitet und Auswahljuroren ernannt werden müssen.
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