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„Der Wald ist ein Gegenmodell zur menschlichen Kultur“

Filmwissenschaftler Marcus Stiglegger erklärt, worüber bei der Fachtagung übers Thema „Der Wald als mythischer Raum im Genrekino“ in Hannover nachgedacht wurde

Marcus Stiglegger

50, war Professor für Film an der Dekra-Hochschule für Medien, lehrt in Mainz, Regensburg, Ludwigsburg und Klagenfurt.

Interview Wilfried Hippen

taz: Herr Stiglegger, leider war Ihr Vortrag in Hannover nicht öffentlich. Dabei würde er uns doch interessieren, schon woher Ihr Interesse am Thema „Wald und Kino“ kommt?

Marcus Stiglegger: Mythos im Film und Genretheorie sind zwei meiner Forschungsthemen. Und hier kann ich sie zum ersten Mal zusammenbringen. Und es wurde noch nicht viel zu diesem Thema geforscht.

Ist es nicht auch sehr deutsch?

Ja, dieses Land war ja früher fast durchgängig bewaldet und so war der Wald ursprünglich bei uns ein bedrohlicher Gefahrenraum. In der Romantik wurde er dann durch die Idee der Naturidylle zum Sehnsuchtsort. Aber er blieb mythologisch immer zwiespältig, und so konnte etwa Fritz Lang mit dem Drachen in „Die Nibelungen“ da andocken.

Wurde der Wald nicht vor allem in den 1950er-Jahren gefeiert, etwa bei uns in den kitschigen Heimatfilmen?

Ja, erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekam der Wald in der Filmgeschichte eine große Bedeutung. Auch international, etwa im amerikanischen und asiatischen Kino.

Aber wurde in Hollywood nicht eher im Western die Prärie gefeiert?

Schon, doch es gibt dort auch ein Subgenre wie den „backwood horror film“, in dem davon ausgegangen wird, dass in den Wäldern immer noch unbekannte Bedrohungen lauern. So etwas die wilden Hinterwäldler in „Beim Sterben ist jeder der Erste“ von John Boorman, dem prominentesten Beispiel dieses Genres.

Und beim asiatischen Kino fällt mir gleich „Prinzessin Mononoke“ von Hayao Miyazaki mit seinen Waldgeistern ein …

Japan ist ja immer noch sehr bewaldet. Und durch den Animismus ist der Wald ein vielschichtiger Mythenraum. Deshalb spielt er auch dort im Kino eine wichtige Rolle.

Wie interpretieren Sie denn Werke wie den neuen deutschen Film „Die Wand“, in dem es kein Entkommen vom Wald gibt?

Seit der Romantik war der Wald auch immer eine Metapher für eine Seelenlandschaft. Da ist er verknüpft mit dem Unbewussten, das immer einen Blick in die eigenen Abgründe mit sich bringt, in denen man sich verlieren kann.

Was ist mit den beliebten Naturdokumentationen?

Ich gehe in meinem Vortrag auch kurz auf die Verfilmung des Bestsellers „Das geheime Leben der Bäume“ ein, der ja eine eigenartige Mischung aus einer wissenschaftlicher Perspektive und Kritik ist, aber auch die Mythologisierung des Waldes weitertreibt. Da soll der Mensch den Wald in Ruhe lassen und dann wird alles wieder gut.

Und die Bedrohung des Waldes durch den Menschen?

Zum Thema der Zerstörung der Wälder durch die Ausbeutung der Holzressourcen ist zum Beispiel ein Film wie „Avatar“ wichtig. Da ist der Wald ein utopischer Raum. Ein Gegenmodell zur menschlichen Kultur, die destruktiv dargestellt wird, während der Wald die Quelle des Lebens ist. Da werden die Umweltschäden auf eine sehr populäre Weise angeklagt.

Stiglegger betreibt den Podcast „Projektionen – Kinogespräche“

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