„krieg und frieden“: ein tagebuch
: „Wir werden siegen“, versichern wir uns am Ende eines jeden Gesprächs

Aus der Ukraine Anastasia Magasowa

Ich beginne dieses Tagebuch in Kiew zu schreib­en, in den Vororten toben seit Tagen erbitterte Kämpfe. Russische Truppen, die am 24. Februar brutal in die Ukraine eingedrungen sind, versuchen die ukrainische Hauptstadt einzunehmen. Ich bin eine ukrainische Journalistin, seit zweieinhalb Jahren lebe ich in Berlin. Ich bin jetzt extra nach Kiew gefahren, um darüber zu berichten, wie der Kreml versucht, die Unabhängigkeit meines Landes zu zerstören.

Hunderttausende Menschen haben Kiew bereits verlassen. Die Situation ist sehr angespannt, doch noch immer unter Kontrolle. Jede/n, den oder die ich in Kiew getroffen habe, ist, unabhängig von Alter oder Geschlecht, zu allem entschlossen. Tausende Freiwillige haben sich den territorialen Verteidigungstruppen angeschlossen. Bis vor Kurzem waren sie noch Leh­re­r*in­nen oder Taxifahrer*innen. Heute bauen sie in der ganzen Stadt Barrikaden und sagen, dass sie bereit seien, sich den russischen Besatzern mit einer Waffe in der Hand entgegenzustellen. An allen wichtigen Straßen sind Checkpoints eingerichtet, die jedes vorbeifahrende Auto kontrollieren. An einigen Stellen wurden Barrikaden aus Betonblöcken errichtet, an anderen Sandsäcke aufgeschichtet oder Busse und Straßenbahnen umgeworfen.

Obwohl die Kämpfe sich mit jedem Tag immer weiter der Stadt nähern und Flugabwehrsysteme täglich russische Raketen abschießen, will sich kein Gefühl von Panik einstellen. Nur der ständige Fliegeralarm hat die urbanen Geräusche abgelöst. In den vergangenen Tagen wurden diese Geräusche durch ein dumpfes Echo von Granaten ergänzt, die irgendwo explodierten. An diesem Morgen habe ich gesehen, wie die Luftabwehr zwei Raketen zerstört hat, die direkt über mein Haus geflogen sind.

Unter solchen Bedingungen versuchen alle einander zu helfen. Sie teilen Lebensmittel, die immer weniger werden, und wichtige Informationen. Jede Unterstützung, und sei sie auch nur moralisch, ist jetzt sehr wichtig. „Wir werden siegen“, versichern wir uns am Ende eines jeden Gesprächs.

Vor Kurzem trafen russische Raketen bei einem Luftangriff auf Kiew den Fernsehturm. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen. Der Fernsehturm hielt stand, Radio- und Fernsehempfang wurden innerhalb weniger Stunden wiederhergestellt. Bei diesem Beschuss am helllichten Tag wurden fünf Zivilisten getötet. Dies war kein weiterer Angriff auf eine militärische Einrichtung, wie die russische Propaganda behauptet. Das war ein Angriff auf die Freiheit des Wortes und das Recht auf Wahrheit – die Grundwerte eines demokratischen Staates.

Aus diesem Grund werden wir, meine Kol­le­g*in­nen und ich, in diesem Tagebuch über die Geschehnisse von vor Ort berichten. Damit Lügen und Desinformation über den russisch-ukrainischen Krieg nicht den Hauch einer Chance bekommen.

Die Journalistin Anastasia Magasowa war Teilnehmerin des Osteuropa-Workshops der taz Panter Stiftung.

Aus dem Russischen: Barbara Oertel.

Das Tagebuch „Krieg und Frieden“ finden Sie auch online – auf Russisch und auf Deutsch: taz.de/KriegFrieden