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Ausgehen und rumstehen von Jenni ZylkaMit Einhornmedizin und Schnabelmaske gegen die Pest

Zeynep, diese Kanaille, macht, was sie will. Ihre Busenfreundin Ylania ist auch nicht viel besser. Gemein. Mein eigenes Tief (ein Weihnachtsgeschenk) war im Januar so zärtlich und unbemerkt über Europa hinweggestrichen, dass es nicht ein einziges Mal in den Nachrichten erwähnt wurde. Ich schaute tagelang sämtliche Wettervorhersagen – Tief Jenni hauchte Deutschland sanft an und driftete nach Schweden ab, nach wie vor rank und schlank im Nimbostratus.

Zeynep und Ylania zeigten sich dagegen kampffreudig. Freitag rissen sie Äste von den Bäumen, bis ich Lust bekam, das Brennholz aufzuklauben, in einen Korb auf dem Rücken zu werfen und einen brodelnden Hexentee zu kochen. Allein die fehlende offene Feuerstelle in meiner Wohnung hielt mich davon ab. Stattdessen schaute ich den entspannenden Berlinalefilm von Hong Sang-soo und schlenderte durch die Windböen ins Haus am Lützowplatz, zur von Jim Avignon und Katharina Schilling kuratierten „Never mind the burnout“-Ausstellung.

Mir gefielen besonders die Fotos von Galya Feierman, die wie Katerfrühstücksbrettchen übereinanderhingen und auf denen einem Partypeople zulächelten. Pro Brett ein letzter Gast – genau das Richtige für einen verzögerten Taganfang mit Alka Seltzer und Erinnerungslücken.

Später saßen wir in der Bar des Hotel Esplanade und tranken Schaumwein, der anscheinend schon länger auf uns gewartet hatte – er war nicht mehr ganz frisch. (Wir ja auch nicht.) Zeynep blieb nachts ruhig, doch am Samstag verhagelte sie mir den Besuch der Pest-Ausstellung, die bis Sonntag im „Augusteum“ der Lutherstadt Wittenberg zu sehen war und bei der die Museumsgäste zur Erinnerung eine Pestmaske erhalten sollten (besser als einen Rattenfloh!).

Ich hatte bereits ein Zugticket, aber sämtliche Reisen drohten zu verwehen, sodass ich erst am Sonntag früh entzückt Pestmünzen, Pestbriefe, Pestschinken, das „Buch der Vergift der Pestilenz“, Pest-Rezepte (auf der Ingredienzienliste: „Einhorn, 3 Stück“ – das nenne ich eine schwer herzustellende Medizin) und die berühmte Wittenberger „Beutelordnung“ bestaunte: Luther, dieser Fuchs, hatte sich 1522 Gedanken gemacht, wie man das Gesundheitswesen während der anstrengenden Pestzeiten finanzieren sollte. Auch Gefäße für „Theriak“, ein mittelalterliches Allheilmittel (eigentlich ein „Nichtsheilmittel“), fanden sich in der großartigen Ausstellung, zudem der Rasenmäher, mit dem eine Kalifornierin 1995 (!!) ein infiziertes Nagetier umgemäht und sich dabei mit dem Yersinia-Pestis-Bakterium angesteckt hatte. Und ein echter ekeliger Rattenkönig (= an den Schwänzen verwobene Ratten, man kennt das Phänomen aus Büchern). Glücklicherweise war der König schon tot.

Dass die (antisemitischen) Verschwörungs- und anderen Theorien, mit denen mediävistische Menschen und Kirchen angesichts der Seuche um sich warfen, keinen Deut unsinniger waren als ähnlicher Schmarrn aus der Mitte unserer angeblich rationalen, aktuellen Gesellschaft, macht einen fassungslos. Sogar Theriak gibt es noch immer im Internet zu kaufen. Und die irrationale Angst vor dem Impfen unterscheidet sich nur graduell vom Glauben an Einhornmedizin.

Am Ende bekam ich tatsächlich eine Pest-Schnabelmaske! Ich behielt sie auf dem Rückweg in der Bahn auf, sie passt über die FFP2-Maske. Es wollte sich zwar niemand neben mich setzen, aber ich hielt dem jungen Gangnachbarn dennoch einen Vortrag über die Herkunft des Schnabels, der ja in Wirklichkeit einer Karikatur entstammt und nie von Pestdoktoren getragen wurde. Am Berliner Hauptbahnhof angekommen, setzte ich mich auf alle vier apokalyptischen Reiter und ritt durch den Wind nach Hause, Sturmtief Antonia entgegen. Die soll nur kommen.

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