piwik no script img

Hemmschwellen bei der Krebsvorsorge

Die zweithäufigste Todesursache in Deutschland ist Krebs. Die frühzeitige Entdeckung eines bösartigen Tumors erhöht die Heilungschancen – dabei gibt es einiges zu beachten

Von Anna Löhlein

Das Tückische an bestimmten Krebsarten ist, dass sie erst relativ spät zu Symptomen führen, etwa Prostata- oder Darmkrebs, sodass sie ohne Früherkennung erst in einem fortgeschrittenen Stadium bemerkt werden. Deshalb gibt es für diese und andere Tumorerkrankungen gesetzlich geregelte Krebsfrüherkennungsuntersuchungen, deren Kosten von den privaten und gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. Sie umfassen Untersuchungen auf Darm- und Hautkrebs sowie auf die geschlechtsspezifischen Arten. Zu einigen dieser Untersuchungen werden Versicherte gezielt von ihrer Krankenkasse angeschrieben.

So erhalten Frauen im Alter von 50 bis 69 alle zwei Jahre eine Einladung zum Mammografie-Screening. Über die Möglichkeit zur altersgemäßen Gebärmutterhalsprävention werden alle 20- bis 65-jährigen weiblichen Versicherten alle fünf Jahre von ihrer Krankenkasse informiert, je nach Alter finden diese gynäkologischen Checks in Verbindung mit Abtasten der Brust in unterschiedlichen zeitlichen Abständen zwischen ein und drei Jahren statt.

Die Darmkrebsvorsorge ist noch differenzierter, da diese Krankheit bei Männern häufiger und im Schnitt auch früher auftritt. Ab 50 Jahren werden Frauen und Männer alle fünf Jahre zur Darmkrebsvorsorge eingeladen. Männer erhalten ab 50, Frauen ab 55 die Möglichkeit zur Darmspiegelung (eine weitere kann zehn Jahre später erfolgen). Alternativ können Frauen und Männer im Alter von 50 bis 54 jährlich, ab 55 zweijährlich einen Stuhltest abgeben. In Verbindung mit dem zweijährlichen allgemeinen Check-up soll für beiderlei Geschlecht ab 35 das Hautkrebs-Screening stattfinden.

Männern wird geraten, ab 45 jährlich an der Krebsfrüherkennung an Prostata und den äußeren Genitalien teilzunehmen. Doch tun sie es? Jein. So gibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) an, dass zwar drei Viertel der Männer in Deutschland (75,7 Prozent, bei Frauen 88,5 Prozent) die Empfehlung der Krankenkassen zur Teilnahme an Krebsfrüherkennungsuntersuchungen (KFU) bekannt sei, jedoch weniger als die Hälfte von ihnen (40 Prozent, bei Frauen 67,2 Prozent) diese auch nutzten. Woher rührt diese „Vorsorgemuffeligkeit“ bei Männern?

Frank Sommer, Facharzt für Männerkrankheiten und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit e. V. (DGMG), weist auf eine Umfrage der DGMG hin, wonach Männer, befragt nach ihren Motiven, Vorsorgeuntersuchungen aus dem Weg zu gehen, unter anderem ihre Angst vor schlechten Nachrichten angaben.

Diesen Männern rät Sommer: „Ein wichtiger Schritt ist es, an seinem Mindset zu arbeiten. Ein positiver Befund ist mitnichten nur eine schlechte Nachricht. Denn hier kann kurativ angesetzt werden.“

Um Männer zu motivieren, hat seine Gesellschaft den Männer-Gesundheitspass entwickelt, in dem unter anderem Werte festgehalten werden und der dadurch vorsorgescheue Zeitgenossen bei ihrem Ehrgeiz packen soll. „Männer bekommen mit diesem Pass die wichtigsten Referenzwerte sowie Vorsorgeempfehlungen für ihre Gesundheit an die Hand“, erläutert Sommer. Neben einer solchen äußeren Motivation stellt der Facharzt fest, dass Männer, die eine feste Partnerin an ihrer Seite haben oder in eine (zweite) Familienplanung gehen, häufig aktiver auf Vorsorge und Gesundheit achten – und: „Regelmäßige Bewegung und bewusste Ernährung haben einen positiven Einfluss auf die Tumorrate“.

Der Weltkrebstag

Am 4. Februar 2022 findet zum 22. Mal der Weltkrebstagstatt. Er wurde durch die Weltkrebs­organisation (UICC) ins Leben gerufen. Das diesjährige Motto lautet „Versorgungslücken schließen“. Mehr als 1.100 Mitgliedsorganisationen der UICC aus über 170 Ländern beteiligen sich am Aktionstag.

www.worldcancerday.org

Ein weiterer geschlechtsspezifischer Unterschied liegt darin, dass Frauen schon in jungen Jahren gynäkologische Praxen aufsuchen, vor allem vor dem Hintergrund der Verhütung, und dort mit dem Thema Vorsorge in Kontakt kommen. Jungen hingegen wechseln, sobald sie dem Kinderarzt entwachsen sind, maximal zum Hausarzt, wenn nicht besondere Erkrankungen vorliegen, die fachärztliche Konsultationen bei Urologen oder Andrologen erfordern. Auch das weibliche Thema Schwangerschaft und die damit verbundenen regelmäßigen Kontrolluntersuchungen dürften mit ein Grund dafür sein, dass für viele Frauen die Hemmschwelle eben auch zur Krebsvorsorgeuntersuchung deutlich niedriger ist.

In den vergangenen zwei Jahren trug auch Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus dazu bei, dass Vorsorgeuntersuchungen lieber aufgeschoben oder ausfallen gelassen wurden. Die BZgA empfiehlt jedoch ausdrücklich, auch in Zeiten der Coronapandemie Früherkennungsuntersuchungen konsequent wahrzunehmen.

Doch unabhängig von den Beweggründen für das (männliche) Zaudern weisen auch einschlägige Organisationen selbst darauf hin, dass Vor- und Nachteile der Früherkennungsuntersuchungen abgewogen werden sollten. So heißt es etwa beim Krebsinformationsdienst des deutschen Krebsforschungszentrums: „Wer Interesse an einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung hat, sollte aber nicht nur über den Nutzen der Untersuchung, sondern auch über mögliche Nachteile nachdenken.“ So könne ein „falsch positives“ Ergebnis, welches einen Krebsverdacht anzeige, unter Umständen zu weiteren Untersuchungen oder auch Behandlungen führen, die gar nicht notwendig seien. Zudem entwickele sich nicht zwangsläufig aus jeder gefundenen Krebsvorstufe und nicht aus jedem gefundenen Tumor eine lebensbedrohliche Erkrankung. „Es gibt Vorstufen und auch einige Tumoren, mit denen man lange leben und auch alt werden kann. Für Betroffene bedeutet eine Behandlung ein unnötiges Risiko und die Gefahr von Nebenwirkungen.“ Das Problem dabei sei, „dass man bei den meisten Krebsarten bisher nicht vorhersagen kann, welche Krebsvorstufe und welcher Tumor ‚harmlos‘ verlaufen werden“. Nicht zuletzt deshalb sind die Untersuchungen freiwillig.

Krebsfrüherkennung: www.krebsinformationsdienst.de/vorbeugung/frueherkennung

Geschlechtsspezifische Gesundheitsvorsorge: www.maennergesundheitsportal.de und www.frauengesundheitsportal.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen