berliner szenen: Hier hilft nur Gegensteuern
Am Jahresanfang rufe ich eine Freundin in Mecklenburg an. Zwei Jahre hatten wir nicht telefoniert. Seitdem ist viel bei ihr passiert: Umzug, Trennung, Jobwechsel. Es gibt eine Menge zu erzählen. Nur über „Coronathemen“ will sie nicht so gerne mit mir reden. Im Laufe von zwei Stunden bekomme ich trotzdem mit, dass sie Impfungen strikt ablehnt und mit dem Ex überquer ist, weil der mit dem 16-jährigen Sohn im Impfzentrum war. Sie hat auch ein Maskenattest. Obwohl sie mit ihrem Job in der Jugendhilfe wöchentlich zahlreiche Hausbesuche macht. Ungeimpft halt. Und ohne Maske. Bei „Und montags geh ich immer auf die Demos in Schwerin“ beende ich freundlich das Gespräch. In den darauffolgenden Nächten schlafe ich schlecht.
Ich kenne mich. Hier hilft nur Gegensteuern. Als ich am Montagabend zum Rathaus Pankow komme, stehen da schon die „Omas gegen Rechts“ und ein paar Antifa-Jugendliche mit Plakaten. Alle mit Maske. Es ist ein friedlicher Protest. Auf der anderen Straßenseite wandern Hunderte unmaskierte „Maßnahmengegner“. Sie lachen, hüpfen und winken. Es kommt zu Sprechchören auf beiden Seiten. Und dann passiert, was man von ähnlichen Veranstaltungen zur Genüge kennt. Die Polizei platziert ein paar Wannen direkt vor der Gegendemo. Auch mehr Polizisten werden dort zusammengezogen. Die „Querdenker“ feixen und johlen. Verkehrte Welt: Die einen protestieren gegen staatliche Maßnahmen und halten sich nicht daran, marschieren aber unbehelligt durch die Straßen. Die anderen stehen aufseiten von Staat und Gesetz, werden aber sofort polizeilich reglementiert. Da reicht das Label „Antifa“.
Wieder zu Hause, falle ich todmüde ins Bett und schlafe zehn Stunden durch. Nächsten Montag geh ich da wohl wieder hin. Gaby Coldewey
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen