: „Der Markt muss zahlen“
POLITIK Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) wirbt für eine weltweite Steuer auf finanzielle Transaktionen. Er lobt Merkels Krisenstrategie – und schimpft auf die Union
62, ist seit 2005 Bundesfinanzminister der großen Koalition und stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD. Zwischen 1998 und 2002 war er Mitglied des Regierungskabinetts in Nordrhein-Westfalen, zunächst als Minister für Wirtschaft und Mittelstand, dann leitete er das Finanzressort. Von 2002 bis 2005 war er Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Steinbrück ist Diplomvolkswirt. Sein bevorzugtes Hobby ist das Schachspiel. Gegen den damaligen Weltmeister Wladimir Kramnik verlor er 2005 in einem Schaukampf nach 37 Zügen.
INTERVIEW RALPH BOLLMANN UND STEPHAN KOSCH
taz: Herr Steinbrück, ein Jahr nach Ausbruch der Finanzkrise ist eines sicher: Es bleibt ein gigantischer Schuldenberg. Wer zahlt die Zeche für die Krise?
Peer Steinbrück: Gute Frage. Sie spielt im Wahlkampf eine große Rolle.
Den Eindruck haben wir nicht.
Doch. Jedenfalls bei mir – und auch auf internationaler Ebene. Beim Treffen der Finanzminister in London am vorletzten Wochenende beklagte der amerikanische Kollege, dass die Einkommen in der Bevölkerung immer weiter auseinanderlaufen. Da merkt man, dass die gesellschaftlichen Kosten dieser Krise durchaus ein Thema sind.
Und was ist Ihr Vorschlag? Wie bezahlen wir die Rechnung?
Es stellt sich die Frage, ob wir die Rechnung allein den Bürgerinnen und Bürgern präsentieren oder ob wir es schaffen, dass auch die Finanzmärkte bezahlen. Ich setze mich zusammen mit Frank-Walter Steinmeier für eine internationale Steuer auf alle finanzielle Transaktionen ein.
Also sind Sie nun doch für die lang geschmähte Tobinsteuer?
Nicht ganz, schauen Sie in das Regierungsprogramm der SPD. Die ursprüngliche Tobinsteuer richtete sich auf Transaktionen mit Devisen, um Währungsspekulationen zu verhindern. Wir wollen eine breitere Grundlage, damit es nicht zu Ausweichreaktionen kommt. Und je breiter die Grundlage, desto niedriger kann der Steuersatz sein. Wir halten einen Steuersatz von 0,05 Prozent für möglich, damit könnten nach Deutschland 10 bis 20 Milliarden Euro pro Jahr fließen. Das entlastet die Steuerzahler.
Wird das ein Thema sein auf dem G-20-Gipfel in Pittsburgh nächste Woche?
Sie müssen sich genau überlegen, wie Sie im Kreis der G 20 die Debatte anfangen. Wenn Sie sofort über dieses einzelne Instrument reden, dann machen nur diejenigen mit, die das sowieso schon diskutieren. Aber wenn die weltweit entscheidenden Player nicht mitmachen, können Sie’s vergessen. Deshalb müssen wir erst über die Ziele reden. Diesen Prozess in Gang zu setzen wäre der Schweiß in Pittsburgh wert.
Die Briten und Amerikaner werden da niemals zustimmen.
Die USA sind während der vergangenen zwölf Monate bereit gewesen, die Lernkurve erstaunlich weit mitzulaufen. Bei den Briten spüren Sie dagegen eine verfestigte Haltung, die Privilegien der City of London zu verteidigen. Wenn wir auf internationaler Ebene überhaupt nicht vorankommen sollten, schlagen wir die Börsensteuer für Deutschland vor. Die gibt es in Großbritannien schon seit 1694. Wenn CDU und CSU weiter blockieren, legen sie alle Lasten auf die Schultern der Steuerzahler.
Zu den Boni für Manager haben die Finanzminister bereits Vorschläge gemacht. Wird es in Pittsburgh Beschlüsse geben?
Die Chance ist hoch. Wir haben zum ersten Mal eine Limitierung. Nicht absolut, aber in einem festen Verhältnis zwischen Grundgehalt und Bonuszahlungen. Auch hier wäre die CDU glaubwürdiger, wenn sie die Blockade in Deutschland aufgeben und mit uns die steuerliche Abzugsmöglichkeit von Boni begrenzen würde.
Sie reden von einer Lernkurve. Läuft Ihnen nicht die Zeit davon, wenn der Schock der Krise langsam abebbt?
Das glaube ich nicht. Die Haltung der Kollegen ist: Wir lassen uns von Lobbyinteressen nicht beeindrucken. Eine Rückkehr zur angeblichen Normalität wird es nicht geben.
Das sehen die Bankmanager anders. Die sagen: danke für die Staatshilfen, aber bitte keine weitere Regulierung.
Die Tendenz gibt es. Der Zentrale Kreditausschuss der deutschen Banken ist zum Beispiel der Auffassung, dass wir die geplante Verschärfung der Eigenkapitalregeln nach der Krise nicht so ernst nehmen sollten. Da bekommt man den Eindruck: Kehre zurück auf Los, ziehe zwar keine 4.000 Mark ein, aber mache so weiter wie bisher à la Monopoly-Regeln. Der Chef der britischen Finanzmarktaufsicht, der eine internationale Transaktionssteuer ebenfalls ins Spiel gebracht hat, wird zurückgepfiffen. Dann gibt es auch den Lobbydruck der Wall Street auf den US-Kongress. Da bin ich ganz froh, dass ich in Deutschland sitze.
Um den Einfluss der Bankenlobby gibt es auch hier Diskussionen, zuletzt anlässlich des Abendessens von Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann im Kanzleramt. Zieht die Kanzlerin mit Ihnen an einem Strang?
Wir haben gut zusammengearbeitet. Dazu gibt’s auch im Wahlkampf von mir keine Distanzierung. Auf der internationalen Ebene gibt es eine hohe Übereinstimmung. Auf der nationalen Ebene versucht allerdings ihre eigene Partei, einiges wieder herunterzukochen. Das habe ich bei den Bonuszahlungen erlebt. Ich bin sehr gespannt, ob die Union die Verordnung gegen Steuerhinterziehung diesen Freitag unverändert im Bundesrat passieren lässt. Da gab es ja auch eine Hinhaltetaktik. Wenn nicht, mache ich im Wahlkampf Feuer.
Dann greifen Sie die Kanzlerin persönlich an?
Ich habe keinen Grund, mit Frau Merkel einen persönlichen Streit anzufangen. Mir geht es um Inhalte und um die Kongruenz der nationalen mit der internationalen Ebene.
Aber eine Finanzmarktsteuer kriegen Sie doch eher mit Ihrem US-Kollegen durchgesetzt als mit den Leuten von der CDU?
Abwarten. Sie haben ein zu statisches Bild von Politik. Es gibt einen zynischen Satz des französischen Gesandten Talleyrand auf dem Wiener Kongress: Hochverrat ist eine Frage des Datums. Sie können auch die marxistische Version nehmen: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Dieses Sein hat sich in der Krise fundamental verändert. Für die Konservativen genauso wie für uns.
Sie werden eines Tages wie Heiner Geißler bei Attac eintreten?
Das würde nicht zu mir passen. Aber es wäre ein Fehler, diese Leute falsch einzuschätzen. Sachlich sind sie gut präpariert. Sie sind nur unerfahrener, was die Umsetzung in praktische Politik betrifft. Manche Ausdrucksformen des Protestes akzeptiere ich auch nicht. Bei G-20-Treffen demonstrieren die Attac-Leute gegen Politiker, die ihre Zielsetzung im Grunde teilen.
Groß geworden sind diese Bewegungen, als Rot-Grün die Märkte liberalisiert hat.
Es ging uns nie ums Prinzip. Es ging immer um Fragen von Nützlichkeit. Im einen Fall mag Privatisierung sinnvoll sein, im anderen nicht. Ich habe das immer pragmatisch gesehen, auch wenn ich weiß, dass es ideologische Positionen dazu gibt. Allerdings auch auf der linken Seite.
Die Börsenumsatzsteuer wird nicht ausreichen. Werden die Steuern erhöht, die Sozialleistungen gekürzt?
CDU/CSU und FDP versprechen Steuersenkungen und Wohltaten. Da soll ich der nützliche Idiot sein, der kurz vor der Bundestagswahl die schlechten Nachrichten bringt? Das ist nicht die Rolle, die ich mir vorgenommen habe. Die SPD operiert mit klaren Gegenfinanzierungen: Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Finanzmarktsteuer und konsequente Bekämpfung der Steuerhinterziehung. Entsprechendes erwarte ich von der politischen Konkurrenz auch.
Sie sind doch auch für einen ehrlichen Wahlkampf.
Trotzdem lasse ich mich nicht jagen. Natürlich wird es zu einer Konsolidierung kommen müssen, bei den Ausgaben wie bei den Einnahmen. Das Einzige, was ich ausschließe, betrifft die Mehrwertsteuer. Nach dem Glaubwürdigkeitsverlust von 2005 wird man den Regelsatz nicht noch mal erhöhen können.
Zur Ehrlichkeit gehört auch die Frage, wie es mit der Krise weitergeht. Ist sie schon vorbei?
Die Krise ist nicht vorbei, aber wir sind vielleicht aus dem Gröbsten heraus. Durch das Instrumentarium, das wir in den letzten zwölf Monaten geschaffen haben, wird keine systemrelevante Bank mehr zusammenbrechen. Die Zweitrundeneffekte vor allem am Arbeitsmarkt und vielleicht auch bei der Kreditversorgung machen mir aber noch Sorgen.
War die große Koalition in der Krise ein Glücksfall?
Wenn in zehn Jahren jemand ein Buch über die Krise schreibt, dann wird er das vielleicht für eine glückliche Fügung halten. Stellen Sie sich vor, es hätte Schwarz-Gelb regiert, etwa mit Herrn Brüderle oder Herrn Solms als Finanzminister.
Sie fänden es gut, wenn es bei der großen Koalition bleibt?
Das ist nicht die Präferenz der beiden großen Parteien. Unsere nicht und von der Union auch nicht. Aber im Licht konkreter Wahlergebnisse wird man Mehrheiten bilden müssen.