: Jenseits von Kreuzberg ist Eden
Jan Feddersens Gastro-Kritik: Die Marlene-Bar im Interconti, Charlottenburg, ist der beste Platz, um ein bisschen Rolf-Eden-Lebensgefühl zu imitieren
Kreuzberg ist ohne Zweifel der beste Ort, um nicht ernsthaft über die Stränge zu schlagen. Einer wie der Westberliner Casanova-Imitator Rolf Eden führe dort nie vor – sein weißer Anzug, seine weißen Schuhe: Nein, das ist was für die Ära der Hildegard Knefs und Harald Juhnkes.
Bestes Westberlin des Glamours: Das wollten wir diesmal nachfühlen. Ku’damm? Nix da. Alles Touri, alles Kreuzberg irgendwie. In einer Seitenstraße aber, sagen wir mal so, haben wir es gefunden: zu dritt und alle vollständig nicht wie Eden aussehend. Der eine ein SO-36-artiges Stück T-Shirt auf den Rippen, der andere einen safariartigen Poncho in Viskose, der Dritte in einem ästhetischen Nirgendwo. In der Marlene-Bar kommen wir zu sitzen – draußen, auf der Terrasse. Die Stühle breit, aber metallen, die Polster weich; der Tisch mit gläserner Platte.
Aus der Bar weht Jazziges, die Gäste sind nicht zahlreich, was sich später ändern wird, dann wird ein halber Urologenkongress von einer „Berlin by Night“-Tour zurück sein und die Marlene-Bar bevölkern: viele fremde Menschen, die für Berlin nur das Nötigste übrig haben. Klasse oberflächlich!
Wir jedenfalls packen alle Barschaften auf den Tisch, kommen auf 60 Euro – und wollen nur etwas trinken. Nichts soll billig oder preiswert sein: reicht doch, wenn man selbst so aussieht.
Die Bedienung ist von vorzüglicher Freundlichkeit, jawoll, zwei Cognac, zwei Kaffee, ein Bier, dazu, ungefragt, Salzgebäck, glasierte Mikro-Chips im Asia-Geschmacksstyle: Man isst und hat nichts gegessen. Super.
So muss Rolf Eden leben: von Drink zu Drink, immer darauf achtend, als sei es eine autopilotische Geste, nichts geizig, verarmt, sparsam wirken zu lassen. Ja, das imitieren wir jetzt in dieser Sommernacht, 24 Grad nachts um halb zwei, ein müder Windzug, der um die Ecke zieht, die Luft satt. Am Ende haben wir zwei Stunden gesessen, niemand bat um die letzte Bestellung, die OberInnenschaft nett und wach, alle vier Minuten die schweren Kristallaschenbecher leerend.
Wir sitzen und genießen. Gegenüber der modernisierte Schweizer Hof, wo Hildegard Knef der Legende nach ein Zimmer als Dauerbehausung hatte. Sie könnte jetzt rauskommen und „Dschääääzzz“ sagen und von Duke und Ella erzählen. Ach, ist das Träumen in der Nacht, fern von Kreuzberg, anregend.
Wir haben übrigens alle 60 Euro dagelassen: Die Rechnung belief sich, schätzten wir anderntags, auf 47 Euro. Aber Rolf Eden hätte den Rest sicher ebenso locker dagelassen. Die OberInnen merkten nichts. Und gerade das war uns der Höhepunkt.
Wir fuhren dann mit Taxen nach Hause: Der Nachtbus hätte uns das innere Ambiente verdorben, nicht wahr.
MARLENE-BAR im Interconti, Budapester Str. 2, 10787 Berlin, Mo.–Fr. 12 bis 2 Uhr, Sa. & So. bis 3 Uhr, keine Happy Hour, Fon (0 30) 26 02 12 53, U- undS-Bahn-Bahnhof Zoologischer Garten