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Antisemitisches Grundrauschen

Die Zunahme antisemitischer Vorfälle in Berlin erklärt sich laut Recherchestelle RIAS nicht nur mit Pandemie oder Nahostkonflikt

Von Susanne Memarnia

Ein jüdisch-israelischer Patient wird von einem Physiotherapeuten in einer Neuköllner Praxis auf seinen hebräisch klingenden Namen angesprochen. Der Patient bestätigt, dass er aus Israel sei, woraufhin der Physiotherapeut anfängt, über die NS-Zeit zu sprechen. Er nimmt seinen Großvater, der bei der Wehrmacht diente, in Schutz und erklärt dann, dass Hitler nicht nur Schlechtes getan habe. Außerdem stellt er Fragen zu orthodoxen Jüdinnen und Juden und behauptet überdies, ortho­doxe Männer schlügen ihre Frauen tot.

Dieser Vorfall vom Januar ist nur eines von vielen Beispielen aus dem neuen Bericht über antisemitische Vorfälle in Berlin im ersten Halbjahr 2021 der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin). 522 gab es von Januar bis Ende Juni, davon waren 12 Angriffe, 22 gezielte Sachbeschädigungen, 15 Bedrohungen, 447 Fälle verletzenden Verhaltens und 26 Massenzuschriften. Trauriger Höhepunkt war der Mai dieses Jahres: In diesem Monat gab es 211 Vorfälle – mehr als seit der Gründung von RIAS im Jahr 2015 je in einem Monat bekannt wurden. Die Vorfälle werden zum Teil direkt von Betroffenen gemeldet, teils über andere Anlaufstellen – etwa die Berliner Register – an RIAS weitergeleitet.

Wie schon im Vorjahr gab die Coronapandemie eine „Gelegenheitsstruktur“ für eine Vielzahl antisemitischer Vorfälle – sei es, dass die einen die „jüdische Weltverschwörung“ hinter Impfkampagnen wittern, sei es, dass Ungeimpfte sich mit verfolgten Juden vergleichen. Laut RIAS wiesen 15 Prozent (78) der gemeldeten Fälle einen inhaltlichen Bezug zur Pandemie auf. Anlass bot zudem erneut die Eskalation des arabisch-israelischen Konflikts ab dem 9. Mai: Binnen eines Monats wurden 152 Fälle mit direktem Bezug hierzu bekannt.

Insgesamt wiesen aber auch im ersten Halbjahr 2021 über die Hälfte der bekannt gewordenen Vorfälle keinen unmittelbar erkennbaren Zusammenhang zu diesen beiden Ereignissen auf. Das bedeutet: Ein antisemitisches „Grundrauschen“ begleitet konstant den Alltag von Berliner Jüdinnen und Juden. „Antisemitismus ist auch jenseits solcher Anlässe ein kontinuierliches Problem, welches sich in digitaler, verbaler, aber auch physischer Gewalt ausdrücken kann und so den Alltag von Juden und Jüdinnen prägt“, erklärte Benjamin Steinitz, RIAS-Projektleiter.

Trauriger Höhepunkt war der Mai dieses Jahres mit 211 Vorfällen

Eine Besonderheit kennzeichnet die neuen Zahlen: Sie sind nur bedingt mit denen aus Vorjahren zu vergleichen und darum in der Tendenz schwer einschätzbar. Seit 2016 wurden für die RIAS-Statistik immer auch die Zahlen des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes über politisch motivierte Kriminalität – bereinigt von Dopplungen – berücksichtigt.

Dies sei aber für das erste Halbjahr 2021 nicht mehr möglich gewesen, erklärte RIAS-Mitarbeiter Alexander Rasumny der taz, da die Staatsanwaltschaft aufgrund neuer Datenschutzbestimmungen keine rechtliche Grundlage mehr sehe, die Daten der Polizei ano­nymisiert an RIAS weiterzugeben. Daher könne man auch nicht sagen, wie viele der „eigenen“ Vorfälle polizeibekannt seien, so Rasumny. In früheren Jahren seien dies rund 20 Prozent gewesen.

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