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Am Ende stirbt immer die Frau

Ein Wochenende der Premieren: „Sleepless“, eine Uraufführung von Péter Eötvös an der Staatsoper Unter den Linden, und „Katja Kabanova“ von Leoš Janácek an der Komischen Oper

Von Niklaus Hablützel

Sie spielen, als gäbe es kein Morgen. Vielleicht gibt es ja wirklich keines mehr, die pandemische Lage ist schlimmer als letztes Jahr, als sie alle schließen mussten, die Opern von Berlin. In der Komischen Oper ist die Hälfte der Sitzplätze immer noch gesperrt, und als am Samstagabend der Vorhang aufging, war auch auf der Bühne wenig Tröstliches zu sehen: drei Zimmer, nach hinten verschlossen mit riesigen Holztüren. Sie sind alle gleich, verschieben sich langsam mal nach links, mal nach rechts, einen Ausweg gibt es nicht. Bewohnt werden sie von Frauen. Männer kommen nur vorbei, zum Essen meistens oder um sich zu beschweren.

Glücklich kann hier sicher niemand werden, am wenigsten die junge Katherina, die nur noch „Katja“ heißt, seit sie mit Tichon, dem Sohn der Witwe Marfa Ignatjewa Kabanova, verheiratet ist. Mann und Vornamen sind längst vergessen, sie ist nur noch die „Kabanicha“, die Schwiegermutter, feindselig gegen alles und alle, aber die Sopranistin Doris Lamprecht lässt die hoffnungslose Trauer auch in dieser Rolle mitklingen, die jede Lust und Freude aus den Wohnzimmern der Familienpflicht austreibt. Nur sie sind auf der Bühne zu sehen, die Tragödie, die daraus entsteht, liegt allein in der Musik. Zwei Frauen, Jetske Mijnssen aus Holland und Giedré Šlekyté aus Litauen, haben sich zusammen so sehr in die Oper von Leoš Janácek vertieft, dass man Regie und musikalische Leitung gar nicht mehr unterscheiden kann.

Das tut der Sache gut. „Katja Kabanova“ wird viel und gerne gespielt. Es scheint um das Unglück einer Frau zu gehen, die das Opfer ihrer grausamen Gesellschaft ist. Nichts davon steht in der Partitur. Janácek hat das seinerzeit enorm erfolgreiche Sozialdrama „Das Gewitter“ des Russen Aleksander Ostrowski so drastisch auf drei Akte heruntergekürzt, die zusammen weniger als zwei Stunden dauern, dass kein Mitleid mehr Platz hat. Niemand ist hier nur Opfer, niemand gut, niemand böse. Unglücklich schon, aber ohne Klagen. Katja gesteht ihren Ehebruch sofort und bringt sich um, weil sie sich wirklich schuldig fühlt, obwohl ihr inzwischen alle, Ehemann und Schwiegermutter inklusive, verziehen haben. Genau das ist Janáceks Welt, der mit seiner Methode der Sprachmelodien noch hörbar macht, was selbst als bloßes Gefühl gar nicht mehr verständlich ist. Es ist Musiktheater im strengsten Wortsinn, und schier endloser Applaus war am Ende der Dank dafür in der Komischen Oper.

Am nächsten Abend ging es gleich weiter mit den sprachlosen Leuten, für die das Leben zu schwierig ist. Péter Eötvös hat eine neue Oper komponiert, seine Ehefrau Mari Mezei hat ihm das Textbuch geschrieben, das auf der Erzählung „Schlaflos“ von Jon Fosse beruht. Der Norweger ist gerade Kult und gilt als nächster Kandidat für den Nobelpreis, was man nur verstehen kann, wenn man die gegenwärtige Sehnsucht nach Ruhe vor allen Strapazen moderner Gesellschaften versteht. Péter Eötvös versteht das vermutlich nicht, und wenn man wissen möchte, warum gerade er auf Fosse kam, muss man das Programmbuch lesen. Matthias Schulz, der Intendant der Staatsoper, mag Fosse. Eötvös, dem Ingenieur, ist nichts zu schwör. Er war unverzichtbar für Stockhausen und Boulez, aber nie nur Schüler, weil er seine eigenen Ideen hatte. Seine „Drei Schwestern“ nach Tschechow sind ein Welterfolg.

Im Graben klappert und tönt ein Leierkasten vor sich hin

Für die Uraufführung des Auftragswerkes engagierte die Staatsoper den Ungarn Kornél Mandruczó, vielgelobter Regisseur von Filmen, Theaterstücken und Opern, der sich von Monika Pormale ein absolut spektakuläres Bühnenbild entwerfen ließ. Ein gewaltiger Fisch, Schuppe für Schuppe exakt ausgeführt, liegt auf der Drehbühne. Er ist halb ausgeweidet, unter seinen Gräten hat eine ganze Spelunke Platz, davor das Dorf am Fjord, den man nicht sehen muss, weil Eötvös auch ihn ins Bild bringt: als Klang.

Im Graben klappert und tönt ein Leierkasten vor sich hin, unglaublich raffiniert ausgerüstet mit satten Dreiklängen und Instrumentalfarben, auf die man erst mal kommen muss. Alles klingt gut und einfach auch dann, wenn es mal laut und schmerzhaft wird, denn es ist die auf die Silbe genau konstruierte Musik zu der schaurig schönen Moritat vom Mörder Asle und seiner Liebe zu Alida, die ein Kind von ihm hat.

Fosse mag vieles gemeint haben, Eötvös lässt alles weg, was sich nicht so vollendet singen lässt, wie das Victoria Randem, Linard Vrielink, Katharina Kammerloher oder Roman Trekel können, um nur einige zu nennen. Wir sind in der Staatsoper, und wenn die Frau mal wieder so schön sterben muss wie in der Oper, schickt die Staatskapelle einen letzten Geigenton so überirdisch rein verklingend in den Himmel empor, wie das auch nur sie kann. Natürlich ist das Kitsch, aber warum nicht?

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