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berliner szenenIt’s the system, stupid

Pervers, oder?“, sagte der Teenager neulich, als er das Haus verließ. „Fast alles, was ich gerade trage, haben andere weggeworfen.“ Im konkreten Fall: ein Lacoste-Pullover, New-Balance-Sneaker und einen so gut wie neuwertiger Adidas-Rucksack. Bei regelmäßigen Runden in Prenzlauer Berg durchforstet mein Sohn „Verschenke-Kisten“ und hat mittlerweile eine dermaßen umfangreiche Garderobe, dass sein Kleiderschrank dafür nicht mehr ausreicht. Mir hat er neulich ein paar Sneaker aus Stoff mitgebracht. Noch top in Ordnung, nur etwas ausgeblichen. „Im Laden 80 Euro“, wusste mein Sohn. Dunkelblau eingefärbt sehen sie jetzt wieder aus wie neu.

Am Abend zuvor hatte sich der Zehntklässler mal wieder über die Schule echauffiert. „Der Weg einer Jeans“, zeterte er am Esstisch. „Hatten wir auch schon in der 8. Klasse. Fällt denen nichts anderes ein?“ Meine Nachfrage ergibt, dass ein Unterrichtsergebnis wohl war, dass man mehr Fairtrade-Produkte kaufen solle. Das regt meinen Sohn wahnsinnig auf. „Klassische Gutmenschen-Antwort. Als ob sich das alle leisten könnten! Und überhaupt, das Problem liegt doch im System. Das ändert sich doch nicht, weil ein paar Typen Fair­trade kaufen.“ Dieser Denkansatz, so entnehme ich seinem aufgebrachten Monolog, wurde von dem jungen Lehrer anscheinend nicht besonders goutiert. Das wäre zu komplex, um das jetzt im Unterricht zu besprechen, habe er angeblich gesagt.

Interessanter Ansatz, finde ich. Statt schon Teenager dafür zu sensibilisieren, welche katastrophalen ökologischen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen unser Lebensstil hat, zieht man sich auf eine wohlklingende Pseudolösung zurück. Die passt in 45 Minuten Unterricht und kann in der nächsten Klassenarbeit in drei bis vier Sätzen abgehandelt werden. Lern­effekt? Egal.

Gaby Coldewey

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