Den Zugang suchen

Es gibt immer mehr als einen Weg, die Dinge zu betrachten: Davon handeln die Arbeiten Renée Greens, zu sehen in der daadgalerie und in den KW Institute for Contemporary Art

Renée Green. Begin Again, Begin Again, 2015. Digital film, color, sound, 40 min. Foto: daad/KW InstituteFor Contemporarty Art

Von Beate Scheder

Als Renée Green im Jahr 1995 in der daadgalerie ihre Ausstellung „Miscellaneous“ eröffnete, veröffentlichte das Feuilleton dieser Zeitung ein Interview mit der US-amerikanischen Künstlerin. Die Ausstellung fand in den damaligen Räumen der daadgalerie an der Kurfürstenstraße statt, dort, wo heute noch das Café Einstein sein Stammhaus hat, und schloss Greens Aufenthalt im Künstlerprogramm des Berliner DAAD ab. 1993/94 war sie dort Stipendiatin. Berlin spielte durchaus eine Rolle in der Ausstellung, auch die daadgalerie, die sie an ihre Ideen anpasste, sie unter anderem mit Holzpaneelen und antiken Möbeln zusätzlich musealisierte.

Im taz-Interview beschreibt die Künstlerin die Arbeitsweise, die sie interessiere, als system specific – im Gegensatz zu site specific, also ortsspezifisch – weil es ihr eben um mehr gehe als die Auseinandersetzung mit einem bestimmten Ort: Der sei wichtig, argumentiert sie, aber nicht der einzige Faktor. Die Sprache sei wichtig, und auch dass sie fremd sei und sie sich unter anderen räumlichen Bedingungen mit ihrer eigenen Unwissenheit konfrontiert sehe.

Tatsächlich sind Orte oft Ausgangspunkt von Greens Kunst, Orte und die Bedeutung, mit der diese aufgeladen sind oder werden, die Macht der Kultur versucht sie zu entschlüsseln. Wie sich das äußert, lässt sich aktuell wieder in der daadgalerie besichtigen – jetzt in der Oranienstraße – unter anderem an einer Arbeit, die schon 1995 zu sehen war: „Certain Miscellanies“ ist eine riesige Sammlung von Schwarzweißfotografien, aufgenommen in Berlin, Den Haag, Wien, an Orten, an denen Green gelebt hatte. Sie zeigen Straßenzüge und Interieurs, einzelne Objekte, Kunstwerke, Antiquitäten, wie zufällig ausgewählt wirkende Häuserecken.

Was woher stammt, ist nur zu erahnen, was umso mehr Fragen aufwirft – wofür sie stehen, was sie abbilden sollen, wie man die Dinge überhaupt abbilden kann. Es sind vor allem aber Bilder, die von Zugehörigkeit und Fremdheit erzählen, von kulturellem Austausch, dem Sich-heimisch-Fühlen und dem Gegenteil davon, jenem Gefühl, für das die englische Sprache den Begriff „Displacement“ kennt. Es ist der Versuch einer Annäherung der Künstlerin an europäische Städte, zu denen sie erst Zugang finden musste.

Wissen und das Bewusstsein, immer etwas oder auch ziemlich viel nicht zu wissen, spielt bei Green stets hinein, sie beschäftigt sich mit Netzwerken und anderen verbindenden Systemen, wie Sprache auch eines ist, mit Lebenswegen und tatsächlichen Wegen, Migrationswegen etwa, mit Geschichte und deren blinde Flecken – oft, aber nicht nur mit postkolonialem oder afroamerikanischem Bezug.

Renée Green, die 1959 in Cleveland, Ohio, geboren ist, hat dafür seit den 1980er Jahren mannigfaltige Ausdrucksformen gefunden. Mit Fotografie arbeitet sie und mit Film, mit Sound und Texten, mit Installation, Objekten, auch mit Malerei und Collage. Entsprechend fällt „Inevitable Distances“ aus, Renée Greens aktuelle Einzelausstellung in Berlin, die nicht nur die daadgalerie bespielt, sondern auch weite Teile der KW Institute for Contemporary Art, vom Keller bis unters Dach.

In der daadgalerie wird „Certain Miscellanies“ unter anderem von den Filmen „Climates and Paradoxes“, entstanden 2005 im Zusammenhang des Einstein-Jahres, und „Begin Again, Begin Again“, einer Arbeit aus dem Jahr 2015, in der Rudolph M. Schindlers Konzept von Modernität den Ausgangspunkt bildet, begleitet. Poetische, unbedingt sehenswerte Filme sind das, die zeigen, wie bei Green Analyse und Assoziation ineinander übergehen, wie sie collageartig Biografien und Erzähllinien, kulturgeschichtliche Referenzen ein- und verwebt.

In den KW setzt sich das fort, dort begrüßt einen im Erdgeschoss die Installation „Idyll Pursuits“ aus dem Jahr 1991, in der Green Vorstellungen von Abenteuer und Exotik ineinanderverschachtelt. In deren Mitte hängt ein Ausschnitt aus einer Fotografie Ansel Adams, zwei schneebedeckte Berggipfel. Ein Rohr ist darauf gerichtet, es ist keines, um in die Ferne zu schauen, sondern passenderweise ein Kaleidoskop. Das Wort Kaleidoskop benutzt KW-Kurator Mason Leaver-Yap auch, um „Inevitable Distances“ zu beschreiben – weil es immer darum geht, Perspektiven infrage zu stellen, neue zuzulassen, zu akzeptieren, dass es nie die eine Art und Weise gibt, Dinge zu betrachten.

Oder alles zu erfassen. Was man beim besten Willen auch nicht in Bezug auf die Ausstellungen schaffen kann. Allein „Import/Export Funk Office“, ein Projekt aus dem Jahr 1992, zu sehen in den KW, in dem es um die globale Verbreitung von HipHop geht, dessen Aneignung im deutschsprachigen Raum, besteht aus über 25 Stunden Video- und Tonaufnahmen.

Überhaupt ist es eine schier überwältigende Fülle an Material. Zeit sollte man sich dafür nehmen, möglichst viel Zeit, um sich einzulesen, vor allem aber sich einzudenken. Mehrmals wiederzukommen wäre eine Option. Möglich wäre das: Die Ausstellungen gehen noch bis Anfang Januar.

Renée Green in den KW und in der daadgalerie, bis 9. Januar.