Handball-Revolution in Magdeburg: Emotionale Strategen

Der noch ungeschlagene SC Magdeburg zeigt in Berlin erneut tollen Handball. Das kürzlich noch Undenkbare scheint möglich: der deutsche Meistertitel.

Michael Damgaard springt mit Ball höher als die Verteidigungsreihe

Keine überstürzten Entscheidungen: Magdeburgs Rückraumspieler Michael Damgaard beim Wurf Foto: Andreas Gora/dpa

Wenn man nach zehn ungeschlagenen Spielen beim Tabellenzweiten einen derart überlegenen Auftritt hinlegt wie der SC Magdeburg bei den Füchsen Berlin am Samstagabend, dann könnte man schon auf den Gedanken kommen, kurz innezuhalten und das Geleistete mit einer klitzekleinen Pause zu honorieren. Zumal Handballer stets im Akkord schuften. Zählt man die anderen Wettbewerbe hinzu, haben die Magdeburger in knapp 11 Wochen 18 Begegnungen gewonnen, einschließlich dem Klub-WM-Sieg in Saudi-Arabien gegen Barcelona.

„Die schreien jetzt auch: ‚Frei, frei, frei!‘“, weiß Trainer Bennet Wiegert. „Mein Herz sagt auch: ‚Ja Leute, ihr habt euch das verdient. Aber bitte, überlegt, woher das jetzt kommt. Das kommt nicht von freien Tagen.‘“ Natürlich werde am Sonntag trainiert. Am Dienstagabend treten die Magdeburger in Spanien beim BM Logrono La Rioja an. Und freilich hat sich der stets hochtourig arbeitende Wiegert bereits alle verfügbaren Videos über dieses Team angeschaut. Am Sonntag werde er seine Erkenntnisse dem Team vorstellen.

Wiegert hat eine eigene Website. Über sich hat er dort den schönen Satz notieren lassen: „Auf dem Spielfeld zeigt er offen seine Emotionen, vor allem, wenn es um Gerechtigkeit geht.“ In der Berliner Max-Schmeling-Halle gab es jedoch keine Gerechtigkeitsfragen zu diskutieren. Zu deutlich waren die Unterschiede zwischen den Berlinern, die immerhin auch eine Serie von 24 ungeschlagenen Spielen vor ihrer Niederlage vergangenen Mittwoch in Flensburg vorzuweisen hatten. Das Endergebnis (29:33) milderte die Unterlegenheit der Füchse etwas ab. Mitunter betrug der Rückstand zehn Tore.

„Entscheidend war, dass wir ab der 1. Minute komplett da waren, nicht nur taktisch, sondern vor allem mental“, befand Wiegert. Er lobte die emotionale Begeisterung, mit der sein Team verteidigt hatte. Nach gut 11 Minuten lag Magdeburg bereits 9:4 vorn. Und diese besondere Mischung aus Emotionalität und taktisch kühler Reife ist einer der maßgeblichen Gründe, weshalb die Magdeburger derzeit die Hierarchie der Handball-Bundesliga durcheinanderwirbeln. Denn in den vergangenen zehn Jahren gab es mit dem THW Kiel, der SG Flensburg-Handewitt und den Rhein-Neckar Löwen aus Mannheim nur drei Teams, die deutscher Meister werden konnten.

Selbst der Gegner schwärmt

Dass ein Spitzenspiel am 11. Spieltag ohne Beteiligung von Kiel und Flensburg-Handewitt stattfinden kann, haben Experten bis vor Kurzem noch für undenkbar gehalten. Die Verantwortlichen der Füchse Berlin, die trotz der Niederlage immer noch den zweiten Platz einnehmen, gerieten gar ins Schwärmen über das Magdeburger Spiel. Stefan Kretzschmar, Sportvorstand der Füchse Berlin und ehemals beim SC Magdeburg als Sportdirektor und Spieler tätig, hob etwa die „wahnsinnig guten Würfe“ der Gäste hervor. Dort gebe es keine unüberlegten Versuche aus dem Rückraum.

Selbst wenn man gut verteidigen würde, finde sich immer stets noch einer, der zum Abschluss käme. Am häufigsten gefunden wurde in Berlin wieder einmal der Isländer Omar Ingi Magnusson, der neun Tore erzielte und bereits letzte Saison ligaweit die meisten Tore warf. Im Unterschied zu den Gastgebern bewegte sich die Fehlerquote der Magdeburger zudem in einem kaum nennenswerten Bereich.

Aus Sicht von Kretzschmar hatte diese so unerwartet ungleiche Partie einiges mit dem Ausfall der deutschen Nationalspieler Paul Drux und Fabian Wiede zu tun. Mit Wiede hätte das Aufbauspiel vermutlich besser geklappt. So rückten die Gewinnchancen der Füchse im Verlaufe des Spiels in weite Ferne. Und auf den LED-Werbebanden flimmerte ein Literaturtipp durch: „Hanning. Macht. Handball.“ Bei der Parallellektüre wäre man wenigstens in dem Werk des Geschäftsführers Bob Hanning auf Füchse-Erfolgserlebnisse gestoßen.

Was den Berlinern zu schaffen machte, die fehlende Breite im Kader, war auch beim SC Magdeburg häufig ein Problem. Wiegert freut sich, dass man das mittlerweile auffangen kann. Seit 2015 arbeitet er am Erfolg des SC Magdeburg. Er sagt: „Vielleicht ist es jetzt so eine Zeit, dass die Kontinuität im Kaderaufbau Früchte trägt.“

Der 39-Jährige formuliert betont vorsichtig. Gedanklich ist ihm die Möglichkeit der Rückschläge stets präsent. Jeden Spieler könne man nicht ersetzen, sagt er. Andererseits will er sich den Spaß derzeit nicht nehmen lassen. „Ich freue mich einfach, es könnte auch anders sein.“ Die Fans sind naturgemäß weniger zwiegespalten. Vor der Max-Schmeling-Halle skandierten sie nach dem Spiel: „Deutscher Meister wird nur der SCM“. Vor nicht allzu langer Zeit hätte man darüber noch herzlich gelacht.

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