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„Wunden der US-Gesellschaft“

In Wolfsburg, Braunschweig und Hannover zeigen drei Ausstellungen zeitgenössische Fotografie aus Nordamerika

Andreas Beitin

53, leitet seit April 2019 das Kunstmuseum Wolfsburg.

Interview Bettina Maria Brosowsky

taz: Herr Beitin, weshalb gerade jetzt dieses Thema, zeitgenössische Fotografie aus Nordamerika?

Andreas Beitin:Die Fotografie hat sich in Nordamerika immer schon als künstlerische Chronistin der Zeit erwiesen, hat also gesellschaftliche Entwicklungen mit ihren sozialen Spannungen, politische Grundbewegungen und deren Auswirkungen untersucht. Da sich vor allem in den letzten Jahren in diesen Bereichen viel getan hat und die Kunst mit herausragenden Positionen darauf immer wieder spannend reagiert, habe ich mich der Ausstellungskooperation mit den beiden anderen Häusern sehr gerne angeschlossen.

Die beiden anderen Häuser zeigen Überblicke, das Kunstmuseum Wolfsburg widmet der Schwarzen US-Amerikanerin LaToya Ruby Frazier eine erste große Einzelausstellung in Deutschland. Was macht diese Fotografin und Künstlerin so spannend, aber auch repräsentativ für die aktuelle Fotografie Amerikas?

In Zeiten unterschiedlichster sozialer Erosionen fühlt sie sich sehr dem familiären Zusammenhalt verpflichtet. Aber auch das intensive Begleiten von Menschen, die von Arbeitslosigkeit, Verseuchung oder Entzug ihrer Lebensgrundlagen betroffen sind, und wie Frazier daraus starke und überzeugende Kunstwerke macht, begeistert mich. Sie legt mit ihrer Kunst sehr dezidiert den Finger in die verschiedenen Wunden der US-amerikanischen Gesellschaft und bezieht Stellung zugunsten unterprivilegierter Menschen. Das macht sie sehr besonders.

Die sozialdokumentarische Fotografie hat eine lange Tradition in den USA, sie reicht von Walker Evans und Dorothea Lange bis etwa zu Nan Goldin, die das Kunstmuseum Wolfsburg 1997 zeigte. Welche neuen Ansätze verfolgt Frazier?

LaToya Ruby Frazier hat selbst erfahren, wie es ist, wenn eine Stadt infrastrukturell abgewickelt wird, sobald ein dominierendes Unternehmen den Produktionsstandort aufgibt. Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Niedergang und soziale Spannungen sind da vorprogrammiert. Sicher steht Frazier in einer Tradition mit Walker Evans, aber auch mit Gordon Parks, der die Kamera als Waffe gegen soziale Missstände verstanden hat. Ihr Ansatz ist es, die betroffenen Menschen oft über Wochen und Monate zu begleiten, sich mit ihrem Schicksal intensiv auseinanderzusetzen und aus der Perspektive einer teilnehmenden Beobachterin ihre Fotografien mit viel Empathie zu erstellen. Oftmals werden die Werke noch durch Texte begleitet, um einen Wissenstransfer zu gewährleisten und Hintergrundinformationen zu liefern.

„True Pictures? LaToya Ruby Frazier“: 30. 10. 21 bis 4. 4. 22, Kunstmuseum Wolfsburg;

„Vom Dokument zum Konzept“: bis 5. 12., Museum für Photographie Braunschweig;

„Zeitgenössische Fotografie aus Kanada und den USA“: 6. 11. 21 bis 13. 2. 22, Sprengel-Museum Hannover

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