berliner szenen: Booster-Impfungen für alle
Ich steh beim Hausarzt in der Schlange zur Anmeldung. Es ist leider richtig voll, und bis ich dran bin, höre ich mit, was die anderen wollen. Einer meint, man habe ihn im Wartezimmer vergessen. Ein älterer Herr möchte „alle meine Medikamente“, hat die aber nicht aufgelistet. Und ein anderer will „Termine für die dritte Impfung, für meine Frau, mich und unsere Nachbarin“. Am 1. Dezember gehe es aber leider nicht, „da haben die Damen schon Physiotherapie“.
Ah, Booster-Impfung! Danach könnte ich ja eigentlich auch gleich mal fragen. Hatte ich doch gerade noch auf einem Werbeschirm am S-Bahnhof gelesen, dass Jens Spahn die jetzt für alle ab 60 empfiehlt.
„Tja, Jens Spahn war da wohl ein bisschen voreilig“, sagt mein Arzt. Erst mal werde die nur für über 70-Jährige und Risikopatienten empfohlen. Trotzdem ist er sofort bereit, meinem Mann (Ü60) eine Drittimpfung zu verabreichen. „Machen Sie vorne gleich einen Termin für ihn“, sagt er, als wir uns verabschieden. „Sie selber können sich dann im Januar impfen lassen.“ Die Sprechstundenhilfe stöhnt gequält auf, als ich mein Anliegen vortrage. „Der vergibt hier dauernd Termine, dabei haben wir gar keinen Impfstoff mehr. Hoffentlich kommt der bald. Sonst müssen wir wieder allen absagen.“
Ich mag, wie Deutschland funktioniert. Der Gesundheitsminister empfiehlt Booster für alle und will die Impfzentren wieder öffnen, die er gerade hat schließen lassen. Das RKI und die Stiko wollen nur über 70-Jährige boostern. Die Kassenärztliche Vereinigung meint, das könnten die Hausärzte stemmen. Und mein Hausarzt hat keinen Impfstoff. Nachmittags im Einkaufszentrum: Impfen ohne Termin, für alle Altersgruppen. „Kann man hier auch die Booster-Impfung bekommen?“ – „Na klar. „Gerne sofort, wenn Sie wollen.“ Gaby Coldewey
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