: Hartes Urteil
Das Gericht hat es sich nicht einfach gemacht mit dem Urteil über die beiden angeklagten Antifas, die im Mai 2020 drei Mitglieder des rechten Vereins „Zentrum Automobil“ verprügelt haben sollen. Die Urteilsbegründung nach 20 Verhandlungstagen ist ausführlich, die Haftstrafen sind mehrjährig.
Von Anna Hunger↓
Alle sind sie wieder da. Oliver Hilburger, Chef der rechten Scheingewerkschaft „Zentrum Automobil“ (ZA) mit Kollegen, Regio TV, der SWR, Presseagenturen, viele Antifas, viel Polizei. Es ist Mittwoch kurz vor neun vor dem Gerichtsgebäude in Stuttgart-Stammheim, in dem seit April verhandelt wird. Urteilsverkündung.
Der Fall: Zwei Antifas sind angeklagt, Joel P. und Diyar A., beide schweigen weitestgehend seit Prozessbeginn. Sie sollen aus einer größeren Gruppe Vermummter heraus im Mai 2020 drei Männer des ZA am Rande einer Demo gegen die Corona-Maßnahmen angegriffen und teils schwer verletzt haben. Einer der drei, Andreas Ziegler, lag mit Schädelbruch im Koma, ein anderer ist nun auf einem Auge fast blind. Die Rechten, die sich so gerne zu Opfern stilisieren, sind es in diesem Fall tatsächlich.
Im Gerichtssaal ist die Luft zum Schneiden, als Richter Johannes Steinbach eintritt, der dieses emotional und politisch aufgeheizte Verfahren seit Monaten durch Höhen und Tiefen schifft. „Wir haben es hier mit einem sehr traurigen Fall zu tun“, sagt er gleich zu Beginn. Zwei junge Leute seien aus ideologischer Verblendung zu Straftätern geworden. Einer der Verprügelten sei fast gestorben, die Überfallenen hätten ein Leben lang mit den Folgen des Angriffs zu kämpfen.
Ob die zwei Antifas tatsächlich die Täter sind, konnte in diesem Indizienprozess nicht abschließend bewiesen werden. „Wir wissen nicht genau, was die Angeklagten gemacht haben“, sagt auch der Richter in seiner Urteilsbegründung. Aber nach 20 Verhandlungstagen mit sehr vielen Zeugen ist das Gericht von deren Täterschaft überzeugt.
Die Angeklagten hätten auf das ZA-Mitglied Ziegler eingeschlagen, Joel P. sei für zumindest einen Schlag auf dessen Kopf verantwortlich. Auf wen Diyar A. eingeschlagen habe, könne man nicht genau sagen, dass er aber zugeschlagen habe, ist sich das Gericht sicher.
Lebensgefährlich verletzen wollten die Angreifer die drei Männer sicher nicht, sagt Steinbach. Aber jemand hatte Ziegler von oben nach unten auf den Kopf getreten, als der schon am Boden lag, im Fachjargon würde das „Stampftritt“ genannt, und mit einem solchen könne man einen Kopf zertreten.
Immer wieder sei an den Prozesstagen über die Anliegen der Arbeiter gesprochen worden, sagt Steinbach. Auf der einen Seite von der „obskuren Kleingewerkschaft Zentrum Automobil“, auf der anderen Seite von den Linken, mit linksextremen Parolen, „wie man sich das vorstellt“. „Ich persönlich glaube nicht, dass der durchschnittliche Arbeiter in Stuttgart sich so helfen lassen will. Weder von Linken, noch von Rechten.“ Das könne man natürlich unterschiedlich diskutieren, „wir sind ja in einem freien Land“.
Die Angeklagten allerdings seien sehr viel weiter gegangen. „Die Linken wollten den Rechten einen Denkzettel erteilen.“ Und das mit „hoher krimineller Energie“ und aus „Fanatismus heraus, dem Glauben, berechtigt zu sein, solche Taten ausüben zu dürfen“. Untermauert wurde das auch vom Schlusswort des Angeklagten Joel P., der seine letzten Worte vor Gericht dem Klassenkampf gewidmet hatte.
Die Strafverteidiger hatten eine Woche zuvor für ihre Mandanten auf Freispruch plädiert, die Staatsanwaltschaft hatte jeweils fünf und sechs Jahre Haft gefordert. Wegen gefährlicher und schwerer Körperverletzung sowie schwerem Landfriedensbruch wurde Joel P. letztlich zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, Diyar A., der wegen Fluchtgefahr im Gefängnis sitzt und zum Tatzeitpunkt auf Bewährung und vorbestraft war, zu fünfeinhalb Jahren. Keiner der beiden jungen Männer zeigt eine Regung.
Draußen vor dem Gericht beklagt sich die Freundin von Andreas Ziegler, dass die Angeklagten keine zehn Jahre Knast bekommen hätten. Zieglers Rechtsanwalt, der rechtsextreme Ex-AfDler Dubravko Mandic, der die letzten Prozesstage zu seiner persönlichen Bühne gemacht hatte, spricht in eine Kamera. Im Hintergrund, vor dem Eingang zur JVA Stammheim, fordert eine Gruppe Antifas mit Flaggen und Transparenten „Freiheit für alle politischen Gefangenen“.
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