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„Ich fand mich am Steuer wieder“

Der Senegalese Cheikh Sene berichtet, er sei gezwungen worden, ein Flüchtlingsschiff zu führen

Cheikh Sene, 34, kam 2016 aus dem Senegal über Libyen nach Italien. Heute arbeitet er in Palermo für die Geflüchteten­organisation Arci Porco Rosso. Er ist einer der Autor*innen des Berichts „From Sea to Prison“, der am Freitag veröffentlicht wird.

Interview: Michael Braun

taz: Herr Sene, wollten Sie in Libyen Kapitän eines Flüchtlingsschiffs werden?

Cheikh Sene: Das hatte ich nie im Sinn. Ich habe für die Überfahrt bezahlt, wie die anderen auch. Ich bin Senegalese, und wie meine Landsleute wusste ich, dass Bootsfahrer in Italien das Gefängnis riskieren. Im März 2016 kam ich in Libyen an und sie suchten nach Kapitänen. Andere Senegalesen hatten in Erfahrung gebracht, dass ich in meiner Heimat Besitzer zweier Boote war, und haben das den Schleusern erzählt.

Und dann mussten Sie den Job übernehmen?

Erst habe ich versucht mich rauszureden, habe behauptet, ich könne kein Boot steuern. Doch als meine Landsleute bestätigten, dass ich sehr wohl den Job machen kann, haben die Libyer mich weggesperrt und geschlagen. Irgendwann habe ich den Widerstand aufgegeben. Ich fand mich dann am Steuer eines gerade einmal sieben Meter langen Schlauchbootes mit 130 Menschen an Bord wieder.

Wie endete die Reise?

Ich hatte gehofft, dass mein Leiden mit der Ankunft in Italien ein Ende hätte, doch ich wurde sofort als „Kapitän“, als „Schleuser“ in Haft genommen. Ich hatte keine Möglichkeit, meine Familie im Senegal zu benachrichtigen, im Gefängnis dachte keiner daran, mich zum Beispiel mit einem Kulturmittler reden zu lassen.

Wie lange waren Sie im Gefängnis?

Zunächst neun Monate, bis zum erstinstanzlichen Urteil. Ich bekam zwei Jahre und zwei Monate Haft, wurde aber bis zur Berufungsverhandlung auf freien Fuß gesetzt.

Wie ging es dann weiter?

Das Urteil in erster Instanz wurde bestätigt und nach einem Jahr in Freiheit musste ich erneut ins Gefängnis. Jenseits meines Schicksals will ich aber auf einen Punkt hinweisen, der kaum je zur Sprache kommt. Die Verfolgung der angeblichen „Kapitäne“ bringt Menschenleben in Gefahr. Immer wieder ist von Booten berichtet worden, die kenterten, weil keiner am Steuer saß. Wegen der Überwachung aus der Luft hatten alle Angst, gefilmt oder fotografiert zu werden, während sie das Boot steuerten.

Was machen Sie heute?

Ich bin als Kulturmittler für Mi­gran­t*in­nen tätig und arbeite mit der Vereinigung Arci Porco Rosso zusammen.

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