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das portraitJurastundent Tristan Wißgott bringt die Uni an den Stammtisch

Wurde für ein Essay über Grundrechte im Ausnahmezustand ausgezeichnet: Tristan WißgottFoto: privat

Von seinem Sieg war Tristan Wißgott überrascht: Sein Essay gewann am Montag den ersten Preis in einem Wettbewerb für Studierende der Rechts- und Politikwissenschaften zum Thema „Bürgerrechte in und nach der Pandemie“. Darin problematisiert der 23-jährige Rechts-, Geschichts- und Philosophiestudent die Grundrechtseinschränkungen durch Coronamaßnahmen, „die vor der Pandemie noch unvorstellbar gewesen wären“, erzählt er der taz. Ausgerichtet wurde der Wettbewerb vom Hamburgischen Verfassungsgericht, der Bucerius Law School und der Fakultät der Rechtswissenschaft der Uni Hamburg.

Wißgott sieht sich selbst „nicht in der Position, Stellung zu einzelnen Maßnahmen zu beziehen“. Eine Ausnahme macht er für die Ausgangssperre: Die hält er tatsächlich für unverhältnismäßig. Sie hätte vom Verfassungsgericht kassiert werden sollen, findet er.

Auf die Frage, ob der Schutz des Lebens, mit dem die Einschränkungen gerechtfertigt wurden und werden, denn ein überbewertetes Grundrecht sei, reagiert er vorsichtig. „Zweifellos ist Lebensschutz unfassbar wichtig.“ Doch er könne nicht unabhängig vom Grad des Risikos in jedem Fall gegenüber anderen Grundrechten Vorrang bekommen. Es brauche Kriterien für die Abwägung. „Wir erlauben auch sonst im Alltag Risiken.“ Auch der Straßenverkehr sei schließlich eine Gefahr. „Ich will natürlich nicht den Straßenverkehr mit der Pandemie vergleichen. Sonst wäre ich wohl doch ein Querdenker.“

Von denen distanziert er sich. „Alles, was in den Bereich Querdenken fällt, kann man getrost ignorieren.“ Mit Mutwilligkeit oder Diktatur habe das Handeln der Regierungen nichts zu tun. „Aber auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn.“ Querdenker:Innen, die etwa gegen die Ausgangssperre protestieren, würden auch mal eine richtige Forderung stellen.

„Die Demokratie mag den rechtlichen Ausnahmezustand aussperren, doch der faktische Ausnahmezustand macht vor der Demokratie ebenso wenig halt wie vor der Autokratie“, schreibt Wißgott. Den rechtlichen Ausnahmezustand gesetzlich zu festigen, etwa durch eine klare zeitliche Begrenzung, scheint ihm in Deutschland jedoch schwierig: „Damit hat man in Weimar schlechte Erfahrungen gemacht.“

Wollte sie das also vermeiden, müsste die Gesetzgebung auf Maßnahmen verzichten, die die Grundrechte de facto suspendieren. „Kein Ausnahmezustand ist schlimmer als der ungeregelte“, lautet die Überschrift seines Fazits im preisgekrönten Essay.

Politisch verordnet sich der junge Student als FDP-affiner Liberaler. Einsam fühlt er sich mit seiner Meinung nicht. „Am Stammtisch war die Diskussionskultur divers, ich habe durchaus Zuspruch bekommen.“

Paul Petsche

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