EU-Debatte um Haushaltsregeln: Einschnitte versus Investitionen

Wie weiter mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU? Dazu hat die Kommission jetzt eine Konsultation gestartet – und Deutschland öffnet den Ring.

Offshore Windpark

Windpark nordöstlich der Insel Rügen Foto: Paul Langrock

BRÜSSEL taz | Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Kurz nach dem Ende der Sondierungen für eine Ampelkoalition in Berlin hat die EU-Kommission den Startschuss für eine Reform der Haushaltsregeln für den Euro gegeben. Damit ist eine Debatte eröffnet, die unter der scheidenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem früheren Finanzminister Wolfgang Schäuble in Brüssel tabuisiert worden war.

Merkel und Schäuble standen für die „deutschen Regeln“ im Stabilitäts- und Wachstums­pakt und für harte Einschnitte in den Krisenländern der Eurozone, vor allem in Griechenland. Demgegenüber hat der designierte neue Kanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, Europa keine neue Austerität verordnen zu wollen. Die deutschen Grünen fordern Investitionen in den Klimaschutz.

Nun kann sich die neue Bundesregierung in die Reformdebatte einbringen – genau wie Ökonomen und interessierte Bürger. Bis zum Ende dieses Jahres läuft die öffentliche Konsultation, danach geht es an die Auswertung. Konkrete Reformvorschläge will die EU-Kommission aber erst 2022 vorlegen – nach dem Ende der französischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr.

Für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist das ärgerlich, denn er würde die seit Beginn der Coronapandemie schon ausgesetzten EU-Regeln am liebsten sofort loswerden. Für Scholz hingegen ist es ein perfektes Timing. Im Sondierungspapier der Ampel spricht er sich bereits für die Erhaltung des Stabilitätspaktes aus.

Angela Merkel und Wolfgang Schäuble standen für harte Einschnitte vor allem in Krisenländern

Und was will die EU-Kommission? Sie plädiert für „einfachere fiskalische Regeln“ und eine „bessere Umsetzung“. Zudem weist sie auf den „enormen Investitionsbedarf“ aufgrund der Klimakrise hin. Von einer umfassenden Überarbeitung der Vorgaben des Stabilitäts- und Wachstumspakts, die neben Frankreich auch Italien fordert, ist vorerst nicht die Rede. Unklar ist auch, ob die Schuldenquote auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt bleiben soll – die durchschnittliche Quote in der EU lag 2020 bei 92 Prozent, in Ländern wie Griechenland oder Italien sogar über 150 Prozent.

Ein Hardliner dürfte das letzte Wort haben

Währungskommissar Paolo Gentiloni will „keine Tabus“, aber auch kein Zurück zum Sparkurs der Eurokrise. Jedoch entscheidet der Italiener nicht allein. Das letzte Wort in der Kommission dürfte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis haben, der als Hardliner gilt.

Im Europaparlament stößt die Initiative denn auch schon auf Kritik. „Die Schuldenregel ist der Elefant im Raum“, sagte der grüne Finanzexperte Sven Giegold. „Den Schuldenstand in allen EU-Ländern zügig auf 60 Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken, ist ein Rezept für Massenarbeitslosigkeit. Wir brauchen Regeln, die Investitionen in unsere gemeinsame Zukunft ermöglichen.“

Skeptisch zeigt sich auch der Europäische Gewerkschaftsbund. „Die Fiskalregeln der EU sind in der Vergangenheit gescheitert, sie sind aktuell ausgesetzt und auch nicht zukunftsfähig“, sagte EGB-Sekretärin Liina Carr. Die Reformdebatte sei zu begrüßen, „aber eine Rückkehr zu den Austeritätsregeln darf es nicht geben“.

Eine mögliche Lösung wäre, Investitionen in den Klimaschutz aus der Schuldenquote herauszurechnen, wie es offenbar die Ampelkoalition plant. Doch ob das mit den EU-Regeln vereinbar wäre, weiß derzeit nicht einmal die EU-Kommission.

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