: Ein Manager fordert die Graswurzelrevolution
Entwicklungshilfe aus Ostwestfalen: Jörg-Stefan Knüppel führte ein Bielefelder Großunternehmen. Jetzt organisiert er weltweit Kleinkredite für arme Bauern. Seine Kollegen können seinen neuen Einsatz für Menschen in den wirtschaftlich schwachen Ländern bis heute nicht nachvollziehen
AUS BIELEFELDUWE POLLMANN
Noch vor einem Jahr saß Jörg-Stefan Knüppel im Vorstand einer Bielefelder Großhandelsfirma. Der 43-jährige Ökonom war in dem Handelsunternehmen mit 700 Mitarbeitern und 1,4 Milliarden Euro Umsatz unter anderem verantwortlich für das Europa-Geschäft. Das machte er so gut, dass er mehrere lukrative Angebote von großen Konzernen bekam. Doch dann stieg der Jungmanager aus, fuhr mit seiner Familie ein halbes Jahr nach Südostasien und besuchte Entwicklungshilfe-Vorhaben. Jetzt sitzt er in einem Dachgeschossbüro in der Bielefelder Altstadt und organisiert mit zwei Mitarbeitern Geld für Handwerker, Bauern oder Händler, die einen Kleinkredit benötigen.
„Als ich meinen Ausstieg bekannt gab“, sagt Knüppel heute, „verstanden Vorstandskollegen und Aufsichtsratsmitglieder mich gar nicht. Der kommt schon wieder runter auf den Teppich, meinten die, und boten mir ein Sabbatjahr an.“ Aber das war keinesfalls die Absicht des bekennenden Christen. Knüppel wollte sich komplett verabschieden, „ohne Rückfahrkarte“, wie er sagt. „Die Frage, warum bin ich hier und in welcher guten Sache kann ich meine Fähigkeiten noch einsetzen, spielten dabei eine große Rolle.“
Schon vor Jahren hatte der Mann aus einer Wuppertaler Mittelständlerfamilie die Mikrofinanzorganisation „Opportunity International“ kennen gelernt. Das Prinzip, mit kleinen Darlehen von rund 100 Euro mittellosen Handwerkern oder Händlern in Indonesien, Mosambik oder Peru bei einem neuen Geschäft zu unterstützen, hatte ihn begeistert. Er wurde Mitglied beim deutschen Zweig der gemeinnützigen Organisation und setzte sich zunächst ehrenamtlich dafür ein.
Über 675.000 Kleinkredite hat „Opportunity“ bisher weltweit vergeben. Aber noch, sagt Knüppel, würden viel zu wenige Menschen davon profitieren. Dabei sei der Erfolg solcher Mini-Kredit-Geber hervorragend, unterstützt der Göttinger Entwicklungsökonom und Professor Hermann Sautter die Sache: „Im Schnitt entstehen dadurch zwei bis drei zusätzliche Arbeitsplätze. Das sind Leute, die nicht auf der faulen Haut liegen, sondern oft bis zu 15 Stunden am Tag arbeiten.“ Auch würden in über 90 Prozent der Fälle die Darlehen plus Zinsen komplett zurück gezahlt. „Die Mikrofinanzierung verbessert entscheidend Ernährung, Gesundheit und Bildung“, sagt Arne Molfenter vom Informationszentrum der Vereinten Nationen in Bonn und Brüssel. Deshalb auch habe die UN 2005 zum „Jahr der Kleinstkredite“ erklärt.
Ohne Mikrofinanzorganisationen wie „Opportunity International“ oder die weltweit bekannte „Grameen Bank“ würden kleine Handwerker oft in die Arme von privaten Geldverleihern getrieben, sagt Sautter. „Denn bei kaum einer Bank bekommen sie ein Darlehen.“ Bei Geldverleihern jedoch müssten viele bis zu 700 Prozent Jahreszinsen zahlen, was sie in eine noch größere Armut treibe.
Auch die 31-jährige Halema aus Indonesien hatte große Schwierigkeiten, sich Geld zu leihen. Als mittellose Witwe mit zwei Kindern bekam sie nirgendwo einen Kredit. Jörg-Stefan Knüppel traf sie in einem Slum von Jakarta. Dann lernte sie „Opportunity“ kennen. Zunächst musste sie sich einer Kreditgruppe mit rund 100 Personen anschließen, regelmäßig wenigstens kleine Geldbeiträge leisten und Schulungen besuchen. „Nach einiger Zeit erhielt sie dann ein Darlehen“, so Knüppel. „Heute näht sie erfolgreich Wäsche für Kinder und Babys, hat ihren Kredit getilgt und ist mittlerweile Sprecherin der Kreditgruppe.“
Solche Erfolgsgeschichten ließen den Bielefelder Manager und Vater von zwei Adoptivkindern aus Vietnam nicht mehr los. „Das hat mich überzeugt, das ist Graswurzelarbeit für eine dauerhafte Entwicklung“, begründet er heute seinen Ausstieg aus den höheren Sphären der Geschäftswelt. „Wir müssen diesen Menschen eine Chance auf ein eigenverantwortliches, selbst bestimmtes Leben geben.“ Um aber mehr Armen diese Möglichkeit zu eröffnen, will Knüppel von seinem Dachbüro in Bielefeld aus mehr Spenden in Deutschland eintreiben. „Wir wollen unser Netz ausbauen, vor allem in Afrika, das oftmals vergessen wird.“ In den nächsten Wochen macht sich der neue Entwicklungsmanager deshalb auf in den Süden des schwarzen Kontinents.