piwik no script img

der check

Kommen bald 200 Millionen Klimaflüchtlinge nach Deutschland?

„Wie viele Migranten wollen die Grünen mit dem Klima-Pass nach Deutschland holen?“, fragte die Bild am vorigen Wochenende. Die Boulevardzeitung nahm die Aufregung auf, die sich in den sozialen Medien über ein Youtube-Video der Grünen-Politikerinnen Deborah Düring und Emilia Fester entwickelt hatte. Die beiden warben darin für einen Klima-Pass. Fester zitierte eine Greenpeace-Hochrechnung, dass 200 Millionen Menschen durch die Klimakrise gezwungen sein werden, ihr Zuhause zu verlassen. Bild schrieb, die frisch gebackene Abgeordnete wolle so viele Menschen in Deutschland aufnehmen.

Richtig ist:

Die Zahl von 200 Millionen Klimaflüchtenden ist weit verbreitet. Sie bezieht sich aber auf Flüchtende in der ganzen Welt. Deutschland ist für die wenigsten ein Zielland. Allgemein bleibt ein Großteil aller Mi­gran­t:in­nen im Heimatland, nur 10 bis 20 Prozent orientieren sich in Länder des Globalen Nordens, so Christiane Fröhlich vom Leibniz Institut für Globale und Regionale Studien.

Auch die Zahl 200 Millionen ist „wissenschaftlich nicht ernstzunehmen“, sagt Bernhard Schraven vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Er ist selbst Mitglied der Grünen. Die Zahl stamme aus den 1990er Jahren und sei veraltet.

Heute beachten Wis­sen­schaft­le­r:in­nen bei solchen Prognosen unter anderem auch, dass sich Menschen an den Klimawandel anpassen können. Ein Beispiel: Teile der Niederlande liegen unterhalb des Meeresspiegels, bleiben aber durch Dämme bewohnbar.

Eine Annäherung, wie viele Menschen aktuell innerhalb ihres eigenen Landes fliehen, gibt das Internal Displacement Monitoring Centre in Genf. Es spricht in einer Studie für 2020 von 40 Millionen Binnenflüchtlingen aufgrund von Katastrophen oder Konflikten. Auch diese Zahl nennt die Grünen-Politikerin Fester im Video. Wie viele davon allerdings Klimaflüchtende sind, ist schwer zu sagen. Die Klimakrise ist fast nie die einzige Flucht­ursache. Sie verstärkt aber bestehende Probleme wie fehlenden Zugang zu Wasser oder Nahrung.

Wie viele Flüchtlinge in Zukunft aufgrund des Klimawandels nach Deutschland fliehen werden, weiß also niemand – weder die Grünen noch die Bild.

Rebecca Ricker

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen