Bilder, die wir uns machen

NATIONALGALERIE Eine große Werkschau Thomas Demands ist in der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu sehen. Seine Fotos geben Anlass, über die Rezeption von Bildern nachzudenken

Demand baut Fotos aus Papier und Pappkarton nach, setzt sie ins Licht und fotografiert sie wieder ab

VON MARCUS WOELLER

Schwere Vorhänge, gemaserte Holzpaneele und davor ein Waldpanorama. Ist es der deutsche Wald? Thomas Demands Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie heißt „Nationalgalerie“ und variiert ein Thema. Die 40 Bilder, die der Künstler zeigt, haben ihren Ursprung entweder in der deutschen Geschichte, sind fest im deutschen Kollektivgedächtnis verankert oder werden als deutsch wahrgenommen. Wie etwa der Wald, auch wenn „Lichtung“ einen Blick in den Park der Giardini in Venedig simuliert.

Simulation ist bei Demand nur die oberflächliche Erscheinung seiner Fotografien. Er will den Bildern auf den Grund gehen, die wir alle in unseren Köpfen haben, die wir willkürlich mit uns herumtragen oder ganz unwillkürlich vor unserem inneren Auge heraufbeschwören. Bilder von Bildern, die wir gesehen haben und die viel mehr transportieren als das auf ihnen Dargestellte. Demand befreit sie manchmal nicht nur von überflüssigen Details. Auf seiner Reinszenierung des bekannten Fotos von Uwe Barschel in der Badewanne eines Genfer Hotels ist dieser nicht zu sehen. Die unspektakuläre Nasszelle genügt, um den Subtext des Skandals, des Ehrenworts, des parteiübergreifenden politischen Filzes zu befördern.

Dass die Ausstellung kurz vor der Bundestagswahl eröffnet und während der Jubiläen zu 20 Jahren Mauerfall und 60 Jahren Bundesrepublik geöffnet sein wird, ist eine Koinzidenz, der er sich zunächst gar nicht bewusst gewesen sei, sagte Udo Kittelmann, Direktor der Nationalgalerie, zur Demand-Schau. Der in Berlin lebende Künstler selbst überlässt hingegen nichts dem Zufall. Er ist für seine Präzisionsarbeit bekannt und berüchtigt für die allumfassende Kontrolle des künstlerischen Produktionsprozesses von der Recherche über die Ausführung bis zur Präsentation.

So ist der Ausstellung ihr Wille zum Gesamtkunstwerk anzumerken. 5,4 km schweren Wollstoffs verbauten Demand und das Architekturbüro Caruso St John zu elegant fallenden Curtain Walls, vor denen die großformatigen Werke montiert sind. Der blickdichte und schallschluckende Faltenwurf der Vorhänge teilt die große Glashalle des Mies-van-der-Rohe-Baus nicht nur in schmale Korridore und weite Räume, sondern taucht sie mit gebrochenen Farben in eine unheimliche Atmosphäre.

Thomas Demand lüftet den Vorhang des Schweigens in seinen Bildern nur diffus. Die fünf Fotografien der Serie „Klause“ verweisen auf einen Fall von Kindesmissbrauch, der über lange Verhandlungsjahre zu einer immer undurchsichtigeren juristischen Angelegenheit wurde. „Raum“ zeigt mehr als einen Raum, in dem Unrat herumliegt. Das Bild basiert auf einem Foto, das nach der Stürmung der Berliner Stasizentrale in der Normannenstraße aufgenommen wurde. Diesem Bild geht ein Foto voraus, das den Ort zeigt, an dem Hitler am 20. Juli 1944 einem Attentat eben nicht zum Opfer fiel.

Wie wir uns Bilder machen, wie wir sie abspeichern und uns wieder an sie erinnern, ist Demands künstlerischer Untersuchungsgegenstand. Er baut diese Bilder aus Papier und Pappkarton nach, setzt sie ins Licht und fotografiert sie ab. Das ist seine künstlerische Masche, mit der er sich in eine exklusive Nische manövriert hat. Die Konsequenz, mit der Demand diesen Weg verfolgt, steigert noch die beunruhigende Präsenz der Werke. Dabei betreibt er das kunsthandwerkliche Basteln im Team seiner Helfer nur, um sich das jeweilige Motiv räumlich erfahrbar zu machen, bevor er es zerstört. Übrig bleiben das Foto und das Staunen der Betrachter über so viel Akribie und Akkuratesse.

Mit dieser Ausstellung erweitert sich nun aber der Prozess des Sich-ein-Bild-Machens um eine weitere Ebene. Auf Einladung Demands hat Botho Strauß prosaische Bildlegenden ersonnen, die die Fotografie des Künstlers mit der Assoziation des Schriftstellers konfrontiert. Während die Präsentation der Texte in Vitrinen reichlich prätentiös erscheint, funktioniert die Gegenüberstellung im zur Ausstellung erschienenen Künstlerbuch ausgesprochen gut. Betrachter und Leser sind allerdings aufgefordert, die Gleichstellung weder als Übersetzung der Bilder in Schrift noch als die Illustration von Texten zu verstehen. Die Schau sollte uns vielmehr Anlass geben, über unsere eigene Bildrezeption nachzudenken und – vor allem – darüber die Kontrolle zu bewahren, allen Täuschungen, Überwältigungseffekten und der riskanten Faszination am Bild zum Trotz.

■ Thomas Demand: „Nationalgalerie“. Neue Nationalgalerie Berlin, 18. 9. 2009 – 17. 1. 2010, Eröffnung am 17. September, 19 Uhr