Aktuelle Nachrichten zu Afghanistan: Guterres warnt vor humanitärer Krise

Der UN-Generalsekretär warnt vor dem völligen Zusammenbruch der Grundversorgung in dem Land. Maas schließt eine Wiedereröffnung der Botschaft nicht aus.

Ein älterer Mann mit grauen Haaren steht an einem Redepult, im Hintergrund hängen verschiedene Flaggen, u.a. USA und China.

„Eine humanitäre Katastrophe bahnt sich an“, warnte António Guterres am Dienstagabend in New York Foto: Xie E./dpa

London spricht mit Taliban über Ausreise von Ortskräften

Die britische Regierung verhandelt mit den militant-islamischen Taliban über eine sichere Ausreise von Briten und afghanischen Ortskräften aus Afghanistan. Der Sonderbeauftragte von Premierminister Boris Johnson, Simon Gass, sei zu Gesprächen mit führenden Vertretern der Taliban in die katarische Hauptstadt Doha gereist, sagte ein Regierungssprecher in London in der Nacht zu Mittwoch. Es gehe darum, „die Bedeutung einer sicheren Ausreise für britische Staatsangehörige und die Afghanen, die in den vergangenen 20 Jahren mit uns zusammengearbeitet haben, zu unterstreichen“.

Zudem verstärkt das Außenministerium vorübergehend seine Botschaften in den afghanischen Nachbarländern Pakistan, Usbekistan und Tadschikistan. Spezialisten sollen die Diplomaten dabei unterstützen, Menschen über Landgrenzen in Sicherheit zu bringen. Außenminister Dominic Raab hatte am Dienstag gesagt, dass sich noch eine „niedrige dreistellige“ Zahl an Briten in Afghanistan aufhalte.

Afghanen, die für das britische Militär sowie die britische Regierung gearbeitet haben, dürfen dauerhaft nach Großbritannien ziehen. Das Innenministerium änderte seine Regeln für afghanische Ortskräfte und ihre Familien, die in ihrer Heimat unter der Taliban-Herrschaft nun in Gefahr sind. Bisher waren nur fünf Jahre Aufenthalt erlaubt. Nach Angaben von Raab hat die britische Regierung in den vergangenen zwei Wochen mehr als 17.000 Briten und Afghanen aus dem Krisenland ausgeflogen.

Raab sollte sich am Mittwoch Fragen von Abgeordneten in London stellen. Der Minister war scharf kritisiert worden, weil er erst spät aus seinem Strandurlaub nach Großbritannien zurückkehrte, während die Evakuierungsmission in Kabul schon längst lief. Raab betont, er habe auch im Urlaub pausenlos gearbeitet. Johnsons Sprecher sagte, der Premier habe volles Vertrauen in den Minister. (dpa)

UN-Generalsekretär warnt vor humanitärer Katastrophe

UN-Generalsekretär António Guterres hat nach dem Abzug der letzten US-Soldaten aus Afghanistan und dem Ende der Evakuierungsaktion vor dem völligen Zusammenbruch der Grundversorgung in dem Land gewarnt. „Eine humanitäre Katastrophe bahnt sich an“, sagte Guterres am Dienstagabend (Ortszeit) in New York. Immer mehr Menschen verlören jeden Tag den Zugang zu elementaren Gütern und Dienstleistungen. „Fast die Hälfte der Bevölkerung Afghanistans – 18 Millionen Menschen – sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, um zu überleben. Jeder dritte Afghane weiß nicht, woher seine nächste Mahlzeit kommen wird. Mehr als die Hälfte aller Kinder unter fünf Jahren wird im nächsten Jahr voraussichtlich akut unterernährt sein.“

Guterres sagte, alle Mitgliedstaaten seien aufgefordert, „sich für die Menschen in Afghanistan in ihrer dunkelsten Stunde der Not einzusetzen“. Sie sollten rechtzeitig, flexibel und umfassend Mittel bereitstellen. In der nächsten Woche würden Einzelheiten über den dringendsten humanitären Bedarf und den Finanzierungsbedarf für die nächsten vier Monate bekannt gegeben.

Die afghanischen Kinder, Frauen und Männer bräuchten jetzt mehr denn je die Unterstützung und Solidarität der internationalen Gemeinschaft, sagte Guterres. In diesem Jahr hätten bereits acht Millionen Menschen Hilfe bekommen. Angesichts der schweren Dürre und des bevorstehenden harten Winters müssten dringend zusätzliche Nahrungsmittel, Unterkünfte und medizinische Hilfsgüter in das Land gebracht werden. „Ich fordere alle Beteiligten auf, den sicheren und ungehinderten Zugang für lebensrettende und lebenserhaltende Hilfsgüter sowie für alle humanitären Helfer – Männer und Frauen – zu ermöglichen.“ (dpa)

USA setzen humanitäre Hilfe fort

Die USA setzen auch nach dem Abzug in Afghanistan ihre humanitäre Hilfe vor Ort fort. Eine Sondergenehmigung ermächtige die US-Regierung und ihre Auftragnehmer, trotz Sanktionen gegen die als Terroristen eingestuften Taliban Hilfe für die Menschen in Afghanistan zu leisten, einschließlich der Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten, sagt ein Beamter des US-Finanzministeriums der Nachrichtenagentur Reuters. Die bestehenden Sanktionen frieren alle US-Vermögenswerte der militanten islamistischen Gruppe ein und verbieten den Amerikanern den Handel mit ihnen, einschließlich der Spende von Finanzmitteln, Waren oder Dienstleistungen. Diese Sanktionen blieben von der Sonderregelung unberührt, sagt der Beamte. (rtr)

Biden kündigt Konsequenzen für militärische Einsätze an

Nach dem Truppenabzug aus Afghanistan hat US-Präsident Joe Biden weitreichende Konsequenzen für künftige militärische Einsätze angekündigt. „Wir müssen aus unseren Fehlern lernen“, sagte Biden am Dienstag im Weißen Haus. „Bei dieser Entscheidung über Afghanistan geht es nicht nur um Afghanistan. Es geht darum, eine Ära großer Militäroperationen zur Umgestaltung anderer Länder zu beenden.“ Künftige Einsätze müssten klare, erreichbare Ziele haben. Sie müssten sich außerdem „auf das grundlegende nationale Sicherheitsinteresse“ der USA konzentrieren.

Biden sagte, in Afghanistan hätten die USA erlebt, wie eine Mission zur Terrorismusbekämpfung sich in einen Einsatz zur Aufstandsbekämpfung, zum Aufbau einer Nation und zur Schaffung eines demokratischen, zusammenhängenden und geeinten Landes verwandelt habe. Das sei „etwas, das in der jahrhundertelangen Geschichte Afghanistans nie erreicht wurde“. Der Präsident fügte hinzu: „Wenn wir diese Denkweise und diese Art von großangelegten Truppeneinsätzen hinter uns lassen, werden wir zu Hause stärker, effektiver und sicherer sein.“ (dpa)

Maas schließt Botschaft in Kabul nicht aus

Außenminister Heiko Maas deutet die Bereitschaft zur Wiederbesetzung der deutschen Botschaft in Kabul an. „Wenn es politisch möglich wäre und die Sicherheitslage es erlaubt, dann sollte auch Deutschland in Kabul wieder eine Botschaft haben“, sagt Maas in Doha. Es gebe ein großes Bedürfnis nach diplomatischer Präsenz. „Wir brauchen die Kontakte.“ Alles sei aber abhängig von der politischen Entwicklung. (rtr)

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