berliner szenen
: Seit M. nun nicht mehr da ist

Neulich traute ich mich, nach M. zu fragen. Als ich sie das letzte Mal sah (vor der Pandemie), ging es ihr nicht gut. Die Neuköllner Kneipe, wo sie fast jeden Abend hinter der Theke war, feierte Jubiläum. Sie saß draußen mit Stammgästen und Kolleg*innen, hatte keinen Pferdeschwanz und keinen Pony mehr, sondern kurze Haare, trank Wasser und erzählte, dass sie nicht mehr arbeiten durfte, aufgrund ihrer Gesundheit. Was wird sie denn machen? fragte ich mich, sagte aber nichts.

Die Zeit verging und wir erinnerten uns oft an sie, die Freundin, mit der ich regelmäßig seit 2011 in der Kneipe war. Zum Beispiel an den Tag, als wir nachmittags kurz die Toilette benutzen wollten und sie uns fragte, ob wir ihr helfen, ihren BH zuzumachen.

Oder als M. für meinen Geburtstag plötzlich im hinteren Raum verschwand und mit einem riesigen Karton zurückkam: Das geschenkte Gummiboot hatte sie als Komplizin versteckt. Oder wie schick sie an Weihnachten mit den kleinen Weihnachtskugeln als Ohrringe war.

Auch erinnerten wir uns, wie liebevoll sie alle bediente und wie entschlossen sie sein konnte, wenn es darum ging, jemanden rauszuschmeißen. Als sie zusammen mit ihrer Tochter arbeitete, war das für uns ein Fest, denn die Tochter mochten wir auch sehr. M. machte den besten Mexikaner-Schnaps der Stadt. Sie blieb nach ihrer Schicht, um die Flaschen vorzubereiten, und manchmal, als ich zur Arbeit an der Kneipe vorbeifuhr, erwischte ich sie dabei.

Seit sie nicht mehr da ist, hat sich die Kneipe sehr verändert und nicht nur wegen der durchsichtigen Scheibe, die wegen Corona die Theke schützt.

Nun traute ich mich B. zu fragen, wie es M. geht. Als er antwortete, dass es ihr ganz gut gehe, trank ich mein Bier aus und ging erleichtert nach Hause. Luciana Ferrando