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Hinreißend schön

Köln gegen Leipzig in der Bundesliga der Männer war eine atemberaubende Show. Vier Treffer wurden beim 1:1 annulliert

Schönheit und Eleganz sogar im Zweikampf: Jonas Hector und Christopher Nkunku beim Synchron-Tritt Foto: dpa

Aus Köln Daniel Theweleit

Eine seltsame Mischung widersprüchlicher Gefühle erfüllte das Müngersdorfer Stadion in dieser denkwürdigen vierten Minute der Nachspielzeit, als ein verrückter Fußballabend mit einem rauschhaften Moment hätte zu Ende gehen können. Ondrej Duda hätte den Ball, der ihm vor die Füße gesprungen war, nur noch ins beinahe leere Tor schieben müssen, er hätte ein ohnehin schon hingerissenes Publikum in einen Zustand der Ekstase versetzen können. Doch der Kölner Mittelfeldspieler traf aus sechs Metern den in der entfernten Torecke stehenden Leipziger Keeper Peter Gulácsi. Die Menschen schrien, sie rauften sich die Haare, sie waren entsetzt über diese verpasste Chance und zugleich fasziniert von einem atemberaubenden Erlebnis. Die 25.000 Menschen hatten nicht nur ein hinreißend schönes Spiel gesehen, sie hatten einen wilden Ritt durch die Welt der Fußball­emotionen hinter sich. Niemand konnte sich dem Zauber dieser Show entziehen. Kölns Trainer Steffen Baumgart feierte das 1:1 hinterher als „richtig geiles Fußballspiel“ und sein Leipziger Kollege sagte mit leuchtenden Augen einfach nur: „Puuh!“

Die favorisierten Gäste hatten 18 Mal aufs Tor geschossen, für Köln zählten die Statistiker 14 Torschüsse. Vier Treffer wurden aufgrund von knappen Abseitsstellungen und nach Überprüfungen im Kölner Keller annulliert. Es wurde mit Hingabe gekämpft, herrliche Kombinationen und wild entschlossene Grätschen wurden gleichermaßen bejubelt. Anthony Modestes Treffer zum 1:0 zählte erst, nachdem minutenlang untersucht worden war, ob es sich bei einem leichten Kontakt der Füße von Mark Uth und Mohamed Simakan um ein Foul des Kölners gehandelt hatte (53.). March und Schiedsrichter Felix Brych standen nach dem Abpfiff lange am Spielfeldrand und simulierten die schwer zu bewertende Szene, einigen konnten sie sich nicht. Der Leipziger Trainer blieb bei seinem Urteil: „Klar Foul.“

„Wir haben einen Löwen an der Seitenlinie“

Anthony Modeste

Richtig sauer wirkte March aber nicht über das Gegentor, auch der Amerikaner hatte diese Partie genossen, zumal Amadou Haidara ja noch das 1:1 geköpft (71.) geköpft hatte. In Feierlaune waren aber vor allen Dingen die Kölner, die sich nicht nur über den Punkt freuten, sondern über die ganze Entwicklung, die der FC in der neuen Saison durchläuft. Baumgart scheint den ganzen Verein an eine ergiebige Kraftquelle angeschlossen zu haben, sein Credo vom bedingungslosen Mut, mit dem sein Team spielen soll, hat den ganzen Klub aufgeweckt. „Wir haben einen Löwen an der Linie“, sagte Anthony Modeste, bei dem der Stimmungsumschwung eine besonders verblüffende Wirkung zeigt. Nicht mehr viele Beobachter hatten geglaubt, dass der 33 Jahre alte Profi nach seiner Karriereepisode in China und drei eher schwachen Jahren in Köln noch einmal ein richtig guter Bundesligaspieler werden würde. Im neuen Spieljahr ist der Franzose nicht nur ein Torjäger, sondern auch eine Instanz auf dem Platz: präsent, zweikampfstark, begeisterungsfähig, mannschaftsdienlich. Nach seinem Tor blickte er dann in den Himmel, weinte und erklärte im TV-Interview: „Mein Papa hat heute Geburtstag. Das sind sehr viele Emotionen für mich. Ich habe meinen Papa vor drei Jahren verloren.“ Gefühle aller Art spielen derzeit eine zentrale Rolle beim 1. FC Köln, was der starke Torhüter Timo Horn direkt auf Baumgart zurückführte: „Man muss schon ehrlich sagen, dass der Trainer das extrem vorlebt, diesen Kampfesgeist, diese Intensität, wer ihn an der Seitenlinie sieht, weiß, was ich meine. Und das überträgt sich auf die Mannschaft.“

Allerdings wäre es falsch, Baumgart auf sein Charisma und seine emotionalisierende Wirkung zu reduzieren. „Es mag jetzt den einen oder anderen überraschen, aber ich habe schon das Gefühl, dass ich auch ein bisschen Ahnung von Fußball habe“, erklärte der gebürtige Rostocker diese Woche. Tatsächlich haben sich Spieler wie Ondrej Duda, Benno Schmitz, Jan Thielmann oder Kingsley Ehizibue im Vergleich zur Vorsaison enorm verbessert. In der Schlussphase sangen manche Kölner schon wieder ihr Lied vom „Europapokal“. Was nicht mehr ganz so verrückt klang.

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