: Leben ans Grab bringen
Viele Städte und Gemeinden können die Kosten für den Erhalt historischer Grabstätten nicht mehr aufbringen. Durch Grabpatenschaften können Bürger:innen helfen
Von Cordula Rode
Friedhöfe sind seit jeher ganz besondere Orte – Ruheplatz für die Verstorbenen, Ort der Trauer und des Gedenkens für die Hinterbliebenen. Aber eben auch noch viel mehr. Andreas Mäsing gerät ins Schwärmen, wenn er von Friedhöfen spricht: „Friedhöfe sind eine einzigartige Mischung. Sie sind grüne Oasen in der Stadt, blühende Parklandschaften, laden zur Ruhe und zum Verweilen ein.“ Und ein Aspekt ist dem Vorsitzenden des Vereins zur Förderung der deutschen Friedhofskultur besonders wichtig: „Jeder Friedhof ist ein lebendiges Geschichtsbuch.“
Auf den großen alten Friedhöfen, die oft bereits im 19. Jahrhundert angelegt wurden, bieten Grüfte, Mausoleen und Grabmale einen Blick auf die Bau- und Erinnerungskultur vergangener Zeiten. Neben der Geschichte ist jeder Friedhof auch ein Ort der Geschichten: Grabsteine mit bekannten und unbekannten Namen, Gedenksprüche, Geburts- und Sterbedaten erinnern an die Menschen, denen sie gewidmet sind. „Das ist wie ein lebendiges Museum, das wir selbst, die Gesellschaft und die den Friedhof umgebende Gemeinschaft, errichtet haben und weiterentwickeln“, so Mäsing. „Das gilt es zu erhalten.“
Dies ist für die Städte und Gemeinden nicht immer im erforderlichen Maße möglich, denn viele historische Gräber befinden sich nicht mehr im Familienbesitz und werden demzufolge nicht mehr gepflegt. Um die hohen Kosten aufzufangen, die mit dem Erhalt und der Pflege dieser Grabstätten verbunden sind, kam vor einigen Jahren die Idee der „Grabpatenschaft“ auf, die vom Verein gefördert und propagiert wird. Bei einer solchen Patenschaft übernehmen eine Einzelperson, ein Verband oder Verein die Verantwortung für eine Grabstätte. Zu den Pflichten gehören dann die Instandsetzung und/oder Pflege, im Gegenzug haben die Pat:innen in den meisten Fällen das Nutzungsrecht, das heißt, sie können Angehörige und sich selbst dort bestatten lassen.
Die kommunalen Friedhöfe in Frankfurt bieten bereits seit 1997 Grabpatenschaften für künstlerisch und historisch wertvolle Grabstätten an. Jeder Pate und jede Patin entscheidet dabei selbst, welchen zeitlichen und finanziellen Aufwand er oder sie einbringen kann und möchte. Das kann das schlichte Grab mit Marmorplatte sein, eine Grabstätte mit einfachem Stein oder auch eine große Gruft mit aufwendigen Bauten. Über 400 Grabpat:innen konnten in diesen Jahren bereits gewonnen werden.
Zu den Grabpat:innen auf dem riesigen Hauptfriedhof Frankfurts, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden ist, gehört Lisa Niederreiter. Die Kunsttherapeutin und Professorin an der Hochschule Darmstadt entdeckte durch Zufall die Schilder, die darauf hinwiesen, dass bestimmte Gräber zur Patenschaft angeboten wurden. „Ich fand die Idee großartig und habe dann gesucht, bis ich genau die Grabstätte gefunden habe, die zu mir passt“, erzählt sie. Ihre Wahl fiel auf das Grab der italienischen Händlerfamilie Guaita, die im 17. Jahrhundert vom Comer See nach Frankfurt umsiedelte.
Georg Friedrich Guaita war im 19. Jahrhundert der erste katholische Bürgermeister der Stadt. Doch es waren nicht nur das historische und lokalpolitische Interesse und der Wunsch, sich bürgerschaftlich zu engagieren, die Lisa Niederreiter zu der Patenschaft bewogen: „Das Thema Tod und Sterben begleitet mich privat und beruflich schon viele Jahre.“ Neben ihrem jahrelangen Engagement in der Sterbebegleitung von an Aids erkrankten Menschen war sie auch in ihrer Forschung ganz nah am Thema: „Die transkulturelle Forschung des Kunsthistorikers Aby Warburg zum Einfluss der Antike auf die abendländische Kultur, auch bei Motiven rund um Tod und Sterben, hat mich stark beeinflusst und inspiriert.“
Kein Wunder, dass Lisa Niederreiters Wahl auf das Grab der Familie Guaita fiel – es wird geschmückt von einer großen Reliefplastik der Göttin Nyx mit ihren Söhnen Thanatos (der Tod) und Hypnos (der Schlaf). Die Säuberung und Restaurierung des Reliefs mit der Unterstützung eines Steinhauers und unter den strengen Blicken des Amtes für Denkmalschutz kosteten viel Zeit und Geld. Und auch die Bepflanzung und Pflege der Grabstätte ist zeitaufwendig, wie Lisa Niederreiter erzählt: „Im Sommer muss ich mehrmals in der Woche nach dem Rechten sehen und gießen.“
Als eine gute Freundin der Hochschulprofessorin ohne Angehörige verstarb, durfte Lisa Niederreiter deren Urne auf „ihrem“ Grab bestatten – und schlug damit den Bogen zwischen Vergangenheit und Zukunft: „Danach kamen Anfragen von anderen alleinstehenden Künstlern und Künstlerinnen, die Sorge haben, anonym und lieblos bestattet zu werden.“ Die große Grabstätte bietet Platz für sechs Särge und bis zu 60 Urnen. Nun überlegt die engagierte Kunsttherapeutin, die für ihr großes Engagement vom Denkmalamt zur „Grabpatin des Jahres 2019“ gekürt wurde, das von ihr betreute Grab für die Bestattung weiterer Alleinstehender nutzen zu können.
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