: Die große Abstiegsharmonie
Der große Krach blieb auf der ersten Mitgliederversammlung von Werder Bremen nach dem Abstieg aus. Man sei finanziell „runter von der Intensivstation“ und sportlich auf einem guten Weg, hieß es
Von Ralf Lorenzen
Der Aufbau erinnerte an die turbulente Ausgliederungs-Versammlung beim Hamburger SV vor sieben Jahren – mit Podium auf dem Rasen vor einer eng besetzten Tribüne. Doch bei Werder Bremen führten auch ein Abstieg und eine besorgniserregende finanzielle Situation bis zum Redaktionsschluss nicht zu großen Unmutsbekundungen auf der Mitgliederversammlung.
Bis dahin gab es einen Punkt der Diskussion, der als Gradmesser der Empörung gelten konnte: Ein Mitglied stellte den Antrag, die Neuwahlen zum Aufsichtsrat auszusetzen, da der Wahlausschuss keinen ausgewiesenen Fußballfachmann aufgestellt habe. Davor bestand die meistgeäußerte Kritik darin, dass es Ex-Spieler Benno Möhlmann nicht auf die Liste geschafft hat. Als Präsident und Versammlungsleiter Hubertus Hess-Grunewald den Antrag aus Satzungsgründen zurückwies, regte sich kein Widerstand.
Auch die wenigen Pfiffe nach der Rede des Wahlausschuss-Vorsitzenden Peter Eilers, der nur allgemeine Kriterien benannte, aber keine Entscheidungen begründete, fanden kaum Widerhall. Noch zwei Tage vorher hatte der Ausschuss Oliver R. Harms, dem die organisierten Fans Nähe zu rechtem Gedankengut vorgeworfen hatten, durch Ulrike Hiller als einziger Frau ersetzt.
Keinen Pfiff, aber teilweise viel Applaus ernteten Hess-Grunewald, die Geschäftsführer Klaus Filbry und Frank Baumann sowie die scheidenden Aufsichtsräte Marco Bode und Andreas Hötzel, die die finanzielle und sportliche Entwicklung begründeten. Mit unterschiedlichen Schwerpunkten beschworen sie die sozialen und menschlichen Werte Werders und appellierten an die Geschlossenheit. Selbstkritisch räumten sie ein, vor der Saison 2019/2020 das „Rattenrennen“ um die europäischen Plätze mitgemacht zu haben und zu sehr ins Risiko gegangen zu sein. Das habe man dann während der Pandemie vor der vergangenen Saison vermieden und mit dem Abstieg bezahlt. Nach einem Konsolidierungskurs sieht sich die Geschäftsführung finanziell aktuell „runter von der Intensivstation“ und sportlich auf einem guten Weg.
Von gesellschaftlicher Verantwortung war auch in den Vorstellungsreden der sieben Kandidaten:innen für den Aufsichtsrat viel die Rede. Alle betonten auch die Notwendigkeit von Veränderungen, ohne personelle Konsequenzen zu fordern. Da war reihenweise Managerrhetorik („Agilität“, „überzeugende Story“), etwas Kitsch („ein Ort zum Träumen“, „glorreiches Licht“) und viel persönliches Engagement zu hören – allerdings wenig inhaltliche Unterschiede zwischen den sechs Betriebswirtschaftlern und der einen Politikerin.
Im ersten Wahlgang erreichten Adidas-Vorstand Harm Ohlmeyer, Ex-Staatsrätin Ulrike Hille sowie Dirk Wintermann, Unternehmer und Vorsitzender des größten Fan-Clubs, die nötigen Stimmen. Für den vierten Platz musste ein zweiter Wahlgang durchgeführt werden. Das Ergebnis war bis Redaktionsschluss offen.
Ebenso ein möglicherweise doch konfliktträchtiger Punkt: Ein Satzungsänderungsantrag, der verhindern soll, dass der Präsident des Vereins gleichzeitig im Vorstand der Profiabteilung sitzt.
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