taz🐾thema
: kulturrausch

die verlagsseiten der taz

Trotzig optimistisch

Erst ist die Kunstbranche in New York wieder zum Leben erwacht – Europa zieht nun nach. Im Pariser Centre Pompidou ist etwa eine umfassende Schau der US-Künstlerin Georgia O’Keeffe zu sehen

Ikone der Moderne: Georgia O’Keeffes „Oriental Poppies“ Foto: Christie's Images/Bridgeman Images

Von Jana Janika Bach

So lange, wie es sich anfühlt, ist es nicht her, dass Benjamin Genocchio, damaliger Chef der New Yorker „Armory Show“-Messe, der „extrem geselligen Kunstwelt“, die das Event-Erlebnis liebe, voller Inbrunst Rosiges prophezeite. 2017 war das; heute würde er seine sieben Thesen zur Entwicklung des Kunstmarktes vermutlich nicht so uneingeschränkt positiv formulieren.

Dabei scheint angesichts eines zwar zur Neige gehenden, doch alles erhellenden Sommers auch das Endzeit-Jahr 2020 in weite Ferne gerückt zu sein und sich das kollektive Stimmungsbarometer bei Normalniveau einzupendeln. So wird selbst in der gebeutelten Kunstbranche trotz steigender Infektionszahlen weltweit trotzig-optimistisch in die Zukunft geschaut.

Bestes Beispiel: N.Y. City, im Frühling erwachte die von der Coronapandemie schwer erschütterte Millionenstadt nach einem „Öffnungsreigen“ wieder zum Leben. Das soll so bleiben, komme, was wolle; die Impfquote im Big Apple ist hoch. Ein Zeichen zu setzen, schadet nicht – lange lag die Eröffnung der größten Retrospektive in der über viele Jahrzehnte währenden Karriere Jasper Johns’, des letzten Pop-Artist, auf Eis.

In diesem Herbst soll es endlich so weit sein, das New Yorker Whitney Museum und das Phi­ladelphia Museum of Art stellen gleichzeitig Zusammengetragenes aus, Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Drucke, darunter die ikonischen US-Flaggen. Johns, mittlerweile 91-jährig, dürfte das wahrhaftig freuen – die lebende Legende hat Unbekanntes und Neues aus seiner persönlichen Sammlung beigesteuert.

Daneben gibt das Whitney jungen Positionen Raum, geplant ist eine Außen-Installation der Trans-„Latinx“-Künstlerin Martine Gutierrez. Mit ihrem Projekt „Indigenous Women“, einem fiktiven, in seiner Optik an Andy Warhols Interview-Magazin erinnerndes Journal, für das sie selbst fotografierte, layoutete und vor der Kamera stand, sorgte Gutierrez ebenso für Furore wie mit ihrer Performance auf der 58. Venedig-Biennale.

Eindrücklich hinterfragt auch die afroamerikanische Malerin Jennifer Packer Konstrukte wie Herkunft oder Identität. Häufig stehen ihr Freunde oder Bekannte Modell, die allerdings nur schemenhaft zu erkennen sind. Denn Packer evoziert und bricht die Opazität in ihren Gemälden. Eine zweite Einzelpräsentation widmet ihr das MOCA in Los Angeles.

Die Berlin Art Week feiert mit ihrer zehnten Ausgabe ein rundes Jubiläum

Wer „Gelebte Abstraktion“ im Kunstmuseum Basel verpasst hat, kann im New Yorker MoMA in Sophie Taeuber-Arps Oeuvre eintauchen. Leichtfüßig übersprang die umtriebige Schweizerin, die nicht bloß als abstrakte Malerin brillierte, die Grenzen zwischen Leben und Kunst. Als Designerin richtete sie Hotels oder Apartments ein, auch mal gemeinsam mit Theo van Doesburg und ihrem Mann Hans Arp, wie beim Café Aubette in Straßburg. Sie verkehrte im exklusiven Zirkel der Avantgarde, entwarf Mode, sogar Marionetten, wie 1918 für das Bühnenstück „König Hirsch“. Bei ihrem Unfalltod 1943 umfasste ihr Schaffen Reliefs, Skulpturen, Architektur, gar Kissen, Perlarbeiten, Regalmodule oder Tische.

Auch die Art Basel Miami Beach ruft. Wäre da nicht das Einreiseverbot für alle, die direkt aus dem Schengenraum in die USA übersetzen möchten. Ein Ausflug ins europäische Ausland ist da weniger aufwendig. Zumal auf dieser Seite des Atlantiks zunächst das Pariser Centre Pompidou und 2022 dann auch die Fondation Beyeler in Basel eine der bedeutendsten Vertreterinnen der US-amerikanischen Moderne mit einer umfassenden Schau ehren. Mehr als 70 Jahre umspannt das Lebenswerk Georgia O’Keeffes, die im März 1986 starb. Da hatte man die Wegbereiterin der abstrakten Kunst längst zur Ikone der amerikanischen Malerei stilisiert.

Unerhört gespreizte Blüten oder wulstige Hügellandschaften – erotisch konnotierte Bedeutungsnuancen wurden ihr von Beginn an unterstellt; einige ihrer berühmtesten Gemälde entstanden am Lake George, wo Alfred Stieglitz, ihr späterer Ehemann, eine Sommerresidenz besaß. In seiner New Yorker Galerie, die europäischer Avantgarde eine Heimat bot, begründete sich O’Keeffes Ruhm, die sich in einer männerdominierten Zeit durchsetzte.

Im Inland derweil entspinnt das Städel Museum in Frankfurt Rembrandts Geschichte von Amsterdam aus als klassische Aufsteiger-Story. Dafür wurde der Städel-Bestand mit Leihgaben internationaler Sammlungen, wie der Londoner National Gallery oder dem Amsterdamer Rijksmuseum, ergänzt.

Die Berlin Art Week ist ja ohnehin stets ein Ereignis der Superlative, doch in diesem Jahr begeht sie einen runden Geburtstag und setzt programmatisch noch einen drauf: Als Experiment von elf Institutionen im Gründungsjahr initiiert, werden sich zum zehnjährigen Jubiläum mehr als 50 Partner – Museen, Privatsammler und Projekträume – an der Festivalwoche beteiligen. Geladen wird zu mehreren Messen, Ausstellungen, Performances und erstmalig zu „Kiez-Aktionen“ – ein Höhepunkt wird den nächsten jagen.

Persönliches Highlight: die vom Hamburger Bahnhof, Kupferstichkabinett oder dem Film-Institut Arsenal kooperativ gestemmte Retrospektive zum Werk Tomas Schmits. Der Neue Berliner Kunstverein beleuchtet etwa die Frühphase des 2006 verstorbenen Konzeptkünstlers, der sich auch als Autor und Zeichner komplexen Fragen stellte – etwa warum ein Chamäleon welche Farbe annehme. Mit Witz und Sprachgespür prägte Schmit, der 1961 Nam June Paik und George Maciunas kennenlernte, als weniger bekanntes, doch wichtiges Mitglied in der Fluxus-Bewegung eine neue Ästhetik.

Basel: Georgia O’Keeffe, Fondation Beyeler, 23. 1. 2022 bis 22. 5. 2022

Berlin: Berlin Art Week, Berlin, 15. bis 19. 9., berlinartweek.de

„Tomas Schmit.sachen machen. Zeichnung Aktion Sprache 1970–2006“: a) n.b.k., 15. 9. bis 23. 1. 2022 & b) Kupferstichkabinett, Berlin, 15. 9. bis 9. 1. 2022

Gallery Weekend Berlin, 16. bis 18. 9.

Jann Holstein, „Emmergenz“, Galerie Karl Oskar, 6. bis 15. 12.

Axel Hütte, „TRACES London – Berlin“, Galerie Daniel Marzona, Berlin, ab 30. 10.

Gruppenausstellung, „REFLECTION IS THE DAUGHTER OF SCANDAL”, Angela Mewes, 25. 10. bis 5. 12.

Frankfurt: „Nennt mich Rembrandt!“, Städel Museum, 6. 10. bis 30. 1.2022

London: Sophie Taeuber-Arp, „Living Abstraction“, Tate Modern, bis 17. 10.

Los Angeles: Jennifer Packer, „Every Shut Eye Ain’t Sleep“, MOCA Museum of Contemporary Art, 1. 7. bis 21. 2. 2022

New York: Jasper Johns, „Mind/Mirror“, Whitney Museum, 29. 9. bis 13 .2. 2022

Martine Gutierrez, Whitney Museum, Sep. bis März 2022

Sophie Taeuber-Arp, MoMA, 21. 11. bis 12. 3. 2022

Miami: Art Basel Miami Beach, Florida, 1. bis 5. 12.

Paris: Georgia O’Keeffe, Centre Pompidou, 8. 9. bis 10. 12.

Das Gallery Weekend Berlin hat sich derweil als Frühlingsevent etabliert, 2021 findet es aber zum zweiten Mal im Herbst statt. Auch ein Blick darüber hinaus lässt frohlocken, denn die Hauptstadt wartet in der gesamten kühleren Saison mit kleinen, feinen Schauen auf.

Unter dem Titel „EMERGENZ“ präsentiert die Galerie Karl Oskar zum Beispiel Malerei des 1986 geborenen Künstlers Jann Holstein. In seinen Serien manifestiert sich das Unvorstellbare. Eine seiner Porträt-Reihen zeigt Überlebende der „Titanic“, teils unkenntlich, unheimlich verfremdet. Poetisches indes offeriert die Galerie Daniel Marzona, nämlich Landschaftsbilder des Fotokünstlers und Becher-Schülers Axel Hütte. Und in der Galerie von Angela Mewes umkreist eine Gruppenschau noch nie zuvor Ausgestelltes der Schriftstellerin und Copy-Art-Künstlerin Pati Hill – Wandspiegel oder Steine, die im Zuge ihres Wahnsinnsprojekts „Photocopying Versailles“ entstanden.

Bei all dem käme Genocchio 2021 womöglich doch zu ähnlichen Schlüssen wie vor vier Jahren; wenn denn die Parameter inzwischen etwas andere sind.