: Sehnsuchtsort Untergrund
„Paradise Lost“ von Creamcake zeigt in den alten Wasserspeichern Installationen von Raphaela Vogel und Gabber Eleganza
Von Tom Mustroph
Pegasus hält den Projektor. Dieses Detail ist das Erste, das auffällt bei der Installation „Mucksmäuschenmusik“ des Shooting Stars in der Kunst Raphaela Vogel. Eine Gussplastik des Fabelwesens hat sie in ihr neues Werk integriert. Sie verbindet damit die antiken Mythen mit digitalen Technologien. Diese Art des Verknüpfens ganz alter Imaginationskunst mit den technischen Möglichkeiten aktueller Immersionskunst ist kennzeichnend für sie. Als Projektionsflächen hat sie in dem Kleinen Wasserspeicher im Prenzlauer Berg monochrome Textilien aufgespannt, die an Tierhäute, etwa die von Rindern, erinnern.
Auf sie fallen Bilder von anderen Tieren. Eine Katze ist zu sehen, die mit Zähnen und Krallen eine Zeitschrift zerfetzt – eine sehr physische Aneignungsmethode von Informationen. Pfauen stolzieren herum. Sie haben dabei als Untergrund auch Mauerwerk, das in seiner Struktur an die Gewölbe des Wasserspeichers erinnert, in dem sich die Installation befindet.
Weiterhin sieht man Rotoren von Drohnen kreisen. Die artifiziellen Fluggeräte werden dabei animalisch, wenn Vogel die Drohnenbilder so morpht, dass die Apparaturen amphibische Natur annehmen. Diese Bilderflut kombiniert sie mit Tönen und Klängen. Mal handelt es sich um sanften Pianosound, mal werden Bässe in Anspruch genommen. Auch die mächtige Hymne des Fußballklubs Borussia Dortmund erschallt.
Es ist ein seltsames Kontrastprogramm, das Vogel in dieser Installation entwickelt. Zum Effekt der Verfremdung trägt bei, dass die Filmaufnahmen mit 360-Grad-Kameras gemacht wurden, man aber nicht eintaucht in den Raum, sondern ihn in gekrümmter Form wahrnimmt, als Blase oder Tropfen vor den eigenen Augen. Es ist demnach eine ausgestellte und auf Distanz gehaltene Welt, die Vogel vorstellt. Sie erinnert an Präparate im Naturkundemuseum, die dort eingeschlossen in Vitrinen und in mit Konservierungsflüssigkeit gefüllten Glasbehältern sind. Bilder machen ist schließlich auch ein Konservieren, ein Präparieren. Dieser Prozess wird bei Vogel deutlich.
Die Arbeit ist in der Ausstellungsserie „Paradise Lost“ enthalten. Kuratiert wird sie von der Berliner Plattform Creamcake. Sie hat sich der Verbindung von elektronischer Musik, bildender Kunst und digitalen Technologien verschrieben.
Bleibt bei Vogel die Klangstrecke noch eher konventionell, hat mehr illustrierenden als gestaltenden Charakter, so wird sie bei „Hardcore Soul 2.0“ vom DJ Alberto Guerrini alias Gabber Eleganza zum Treiber. Hardcore und Rave-Rhythmen verschmelzen mit Videoaufnahmen von wartenden Menschen. Sie lungern vor Clubs herum, warten darauf, bei Open-Air-Events eingelassen zu werden. In Leuchtschrift tauchen „Oasis“ und „Zappa“ auf. „Hardcore Soul 2.0“ erinnert an die in Pandemiezeiten so sehr entbehrten Konzerte. Die Bilder maskenlos wartender Menschen wirken geradezu unschuldig. Selbst das Abtasten durch einen Wachmann beim Einlass gerät zu einem Akt der Zärtlichkeit. „Paradise lost“ will an den durch die Pandemie in Vergessenheit geratenen öffentlichen Raum erinnern, an Körper in diesem Raum und an die Beziehungen zwischen beiden. Etwas paradox dabei ist, dass Creamcake dazu in den Untergrund geht, in gemauerte Kellerräume, deren Luft noch immer von den einst dort gespeicherten Wassermengen durchfeuchtet scheint. Man kann dieser speziellen Verortung aber auch Konsequenz zubilligen. Und schlichtweg beeindruckend sind die Sílhouetten, die das grüne Licht in den Gängen ringsum Gabber Eleganzas Arbeit an die gemauerten Wände wirft, wenn andere Zuschauer vor die Lampen treten.
Paradise Lost, Kleiner Wasserspeicher, bis 12. August
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