berliner szenen
: Fast so gruselig wie im Film

Es ist der zweite Pandemiesommer, den wir zu Hause verbringen. Ich würde ihn gerne mit ein paar Fahrradtouren durch Brandenburg auflockern. Mein Mann hat keinen Urlaub und würde an seinen freien Tage lieber zu Hause chillen. Kompromissfähigkeit ist gefragt. „Wenn wir schon Rad fahren, könnten wir ja auch mal woandershin als sonst“, sagt er am Sonntag. Wenig später sitzen wir in der S-Bahn nach Grünau. Es geht ganz gut los, in Schmöckwitz essen wir das erste Eis. Später picknicken wir auf einem Rastplatz an der Dahme. Wie immer in Brandenburg trifft man kaum Menschen.

Nach einem schnellen Bad im Krüpelsee bemerken wir, dass wir irgendwo falsch abgebogen sind. Egal, zurückfahren ist nicht. Jetzt müssen wir entscheiden: viel befahrene Straße oder nicht ganz kleiner Umweg. „Schlechte Wegstrecke“, vermerkt meine zwanzig Jahre alte Fahrradkarte. „Ach, das haben die sicher längst ausgebaut“, sagt mein Mann. Haben sie nicht. Der Weg ist eine dunkle Sandpiste und führt natürlich bergauf. Über uns dunkle Regenwolken. Fast unheimlich. Ein einsamer Jogger kommt uns entgegen. Er grüßt nicht. Dann überholen wir eine Familie – Vater, Mutter, zwei Grundschulkinder. Auch sie sehen uns nicht an. „Fast wie im Horrorfilm“, sagte ich. „Ja, die hatten auch alle blutverschmierte Münder“, witzelt mein Mann. Wir durchqueren einen Geisterwald ohne Vogelstimmen. Es ist totenstill. Ein paar Bäume mit unreifen Äpfeln stehen am Wegrand. Ein Mann mit Mountainbike kommt uns entgegen, schweigend. Und dann steht da – fast wie im Märchen – ein riesiger Mirabellenbaum. Wir pflücken in wenigen Minuten mehrere Kilo und essen einige gleich an Ort und Stelle. Kurz bevor der Regen richtig losgeht, bringt uns die Bahn wieder nach Berlin zurück.

Ich träume schlecht in der folgenden Nacht.

Gaby Coldewey