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Fürs Feld geboren

Eine bäuerliche Landwirtschaft ist möglich: Der Dokumentarfilm „Born for Korn“ zeigt die Entwicklung eines Milchhofs im Norden von Schleswig-Holstein über zweieinhalb Jahre hinweg

Von Wilfried Hippen

„Constanze ist ein wenig eigen“, sagt Arne Sierck: Denn sie wendet sich schüchtern ab von dem fremden Mann mit der Kamera. Constanze ist eine Milchkuh und in Zeiten, in denen Kuhmilch zuallererst als ein Produkt der Agarindustrie angesehen wird, ist es ist außergewöhnlich, dass so ein Tier nicht nur einen Namen bekommt, sondern ein Mensch sogar treffend seinen Charakter beschreiben kann. Aber hier, auf dem Hof Fuhlreit in Kropp, Kreis Schleswig-Flensburg im Norden von Schleswig Holstein, werden die Rinder noch auf die Weide getrieben. Und Arne Sierck, der junge Hoferbe, ist sich mit seinem älteren Bruder Malte einig darüber, dass sie in ein paar Jahren den Hof übernehmen wollen – und weiterbetreiben. Denn die beiden sind „Born for Korn“, frei übersetzt: fürs Feld geboren, wie der vielleicht etwas zu gewollt coole Titel dieser Dokumentation verspricht.

1881 steht unter dem Familien­namen an der Front des alten Bauernhauses: Die Siercks sind schon in der sechsten Generation Bauern. Ist die Zeit nicht längst abgelaufen für solch kleine Familienbetriebe? Über das „Bauernsterben“, die zunehmende Industrialisierung der Landwirtschaft und die Massentierhaltung gibt es schon eine ganze Reihe von Dokumentarfilmen. Mit „Born for Korn“ wollen ­Elmar Szücs, Rainer Heesch und Niclas Mid­dleton eine Alternative aufzeigen: Familie Sierck will nicht wie so viele andere Betriebe expandieren, um die immer geringeren Einnahmen durch umso mehr Milchproduktion zu kompensieren; mehr Milch im Angebot freilich bedeutet erst recht fallende Preise – aus diesem Teufelskreis kommen die oft bis über beide Ohren verschuldeten Bauern kaum wieder heraus.

Der Film zeigt auch, wie zwei offensichtlich verstörte Rinder in einen Anhänger bugsiert und zum Schlachthof gefahren werden. Nächste Einstellung: die Wurst im Hofladen. Nein, geschönt wird hier nichts

Die Siercks nun glauben, einen besseren Weg gefunden zu haben. Und der Film zeigt, wie sich dadurch die Arbeit auf dem Hof und das Leben der Familie insgesamt verändern: „Direktvermarktung“ scheint der Ausweg zu sein. Zumindest wird das, was die drei Macher zweieinhalb Jahre lang mit der Kamera begleitet haben, hier als Erfolgsgeschichte erzählt. Der Sierck’sche Hof hat heute einen eigenen Hofladen, der auch Pumpernickeleis oder „Räuberkäse“ aus eigener Produktion verkauft. Ein „Milchtaxi“ bringt Produkte zur Kundschaft in der Umgebung, und mit einer eigenen Homepage ist Hof Fuhlreit zu einer bekannten Marke in der Region geworden.

Vor diesen Veränderungen konnte sich der Bauer Jörn Sieck gar nicht vorstellen, dass fremde Leute sich auf seinem Hof breitmachen würden. Und seine Frau Gunda beschreibt, wie viel Mehrarbeit es bedeutet, nicht nur den Hof zu bewirtschaften, sondern die Milch auch selbst weiterzuverarbeiten und dann auch noch zu verkaufen. Das Geschäftsmodell funktioniert auch nur, solange die Kundschaft sich darauf verlassen kann, dass die Kühe gut behandelt werden. Da ist es dann auch nur folgerichtig, wenn sie Namen bekommen – auch wenn bei 150 Rindern nicht jedes einen alten deutschen haben kann; manche heißen dann halt „Nivea“ oder „Nutella“. Dagegen bleiben die jungen Bullen namenlos: Sie werden hier nicht alt, sondern bald zum Schlachthof gefahren. Und da würde eine engere Bindung stören, erklärt Arne Sierck; er entwickelt sich zum Hauptprotagonisten, auch weil er am besten vor der Kamera spricht. Und dann erklärt er nicht nur, wie und warum viele der Kühe künstlich besamt werden – er zeigt es auch gleich.

Er schildert auch, wie komplex die Entwicklung in einem nachhaltigeren Milchbauernhof ist. So hat sich die Familie dagegen entschieden, für das ­Biosiegel zu produzieren, also gemäß der EG-Öko-Verordnung. Dann nämlich wäre jede Anwendung von Antibiotika verboten, und aus Sicht der Diercks könnten etwa kranke Kälber dann nicht effektiv behandelt werden. Zu den Realitäten so eines Milchhofes gehört auch, dass die Kühe, wenn sie weniger Milch produzieren, geschlachtet werden. Und so zeigt der Film auch, wie zwei offensichtlich verstörte Rinder in einen Anhänger bugsiert und zum Schlachthof gefahren werden. Nächste Einstellung: die Wurst im Hofladen. Nein, geschönt wird hier nichts.

„Born for Korn“ hat gleich drei Regisseure, und darin spiegelt sich die ungewöhnliche Produktionsgeschichte wider: Sounddesigner Rainer Heesch hatte die Idee, denn er kommt selbst aus einer Bauernfamilie; sein Bruder hat Hof der Eltern übernommen. Zusammen mit dem Kameramann Niclas Middelton machte er die ersten Aufnahmen. Aber bald merkten die beiden Freunde, dass sie die Hilfe eines professionellen Dokumentarfilmers brauchten – und fanden schließlich Elmar Szücs, der im Jahr 2018 für den Westdeutschen Rundfunk die Produktion „Landleben – Geschichten aus NRW“ verantwortet hatte.

Das Trio produzierte „Born for Korn“ unabhängig, also ohne Beteiligung eines Senders. Und mit seiner Länge von 78 Minuten passt er auch nicht recht in die Raster von Programm- oder Kommunalkinos. Deshalb dürfte die Kinotour, bei der Familie Sierck den Film auch selbst vorstellt, eine der wenigen Gelegenheiten sein, ihn zu sehen: Am Samstag ist er im Hamburger Abaton zu Gast, am Dienstag im Kinocenter Husum; es folgen Vorstellungen am 29. ­August im Kino Lichtblick in Heide, am 31. August im Burgtheater Ratzeburg und am 1. September im Meldorfer Kino mit dem schönen Namen „Deutsches Haus“.

„Born For Korn“: Regie: Elmar Szücs, Rainer Heesch, Niclas Middleton. Deutschland 2021, 78 Min. Tour-Termine: https://barnsteiner-film.de/born-for-korn

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