: Was der Sozialdemokratie zur Anti-AfD-Kraft fehlt
SPD-Mann Carsten Schneider hofft, dass die Bundestagswahl für seine Partei im Osten weniger schlimm verläuft als sonst. Scholz komme zumindest besser an als die Konkurrenz
Aus Erfurt Stefan Reinecke
Andrew Aris, ein schlaksiger, grauhaariger Neuseeländer, hatte 2005 eine Idee: Fußball als Mittel zu nutzen, um Kulturen und Menschen zu verbinden. Fußball ist ja eine Sprache, die jeder und jede kann. Aris gründete in Erfurt „Spirit of Football“. Man arbeitet mit Flüchtlingen, verknüpft Kicken mit Bildung und Integration. Die Organisation wurde mit Preisen überhäuft, mit Geld eher nicht. „Wir sind kein klassischer Sportverein. Unsere Arbeit ist projektorientiert. Da gibt es immer nur kurzfristige Finanzierung“, sagt Aris. So hangelt man sich von einem Antrag zum nächsten.
Carsten Schneider, SPD-Abgeordneter aus Erfurt, nickt. Ein Viertel der Arbeit gehe da für das Verfassen von Förderanträgen drauf, sagt Schneider. Das sei unsinnig. Spirit of Football ist eine Station der Sommerreise, mit der der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion jedes Jahr JournalistInnen Thüringen nahezubringen sucht. Schneider, 45, Sneakers und Jeans, hat gute Laune, weil in Erfurt manches vorangeht. Und die SPD, lange abgeschrieben, scheint plötzlich doch wieder um die Meisterschaft mitzuspielen.
In einem Stadtteil im Erfurter Norden zeigt Schneider auf einen langgestreckten Plattenbau. In einer der Wohnscheiben hatte er 1994 seine erste eigene Wohnung. Durch die endlosen Flure konnte man „mit dem Skateboard fahren“, sagt er. Wohnen in der Platte, das suggeriert, zumal in der Ex-Arbeiterpartei SPD, eine gewisse Street Credibility.
Mit dem Plattenbauviertel im Erfurter Norden ging es nach der Wende bergab. Die Kaufhalle verschwand, die Infrastruktur verfiel. Jetzt gibt es am Berliner Platz immerhin wieder einen Aldi. Und den Stadtteiltreff Berolina, einen Flachbau an einer neuen, recht properen Fußgängerzone. Dort versuchen Sozialpädagogen Konflikte im Viertel zu managen und Kontakte herzustellen. Viele MigrantInnen wohnen hier. SyrerInnen und AfghanInnen, neuerdings auch PolInnen und TschechInnen, die bei einem großen Logistikzentrum des Versandhändlers Zalando arbeiten. Zwar hat Zalando als Arbeitgeber einen zweifelhaften Ruf. Aber, so Schneider, bei einem Lohn von knapp über 10 Euro die Stunde gilt es vielen im Niedriglohnland Thüringen als brauchbarer Job.
Im Erfurter Norden wohnen zudem viele deutsche RentnerInnen. Manche, sagt Schneider, leben noch in der Wohnung, „in die sie in den 70er Jahren eingezogen sind“. Es gibt zwar Stress im Viertel. Doch die AfD, in Thüringen bei Wahlen dreimal so stark wie die SPD, ist in der Plattenbaugegend nicht dominant. Schneider hält das für typisch. Wo MigrantInnen wohnen, seien die Rechten weniger stark als in den Dörfern und Kleinstädten um Erfurt. Eine weitere Station ist die Bundesgartenschau in Erfurt – allerdings weniger als Touristenattraktion denn als Mittel städtischer Integration. Mit der Buga ist ein adretter Grüngürtel mit Radweg und kleinem See entstanden, der die Plattenbauten im Norden mit der renovierten Altstadt verknüpft. Das verströmt – wie die aufgepeppte Platte und die Integrationsförderung mit Fußball – egalitären, sozialdemokratischen Geist.
Carsten Schneider, SPD
Doch zur wirksamen Anti-AfD-Kraft fehlt es der SPD in Thüringen ebenso wie in Sachsen und Sachsen-Anhalt an vielem. Eine Volkspartei mit Antennen in verschiedene Milieus war die SPD im Südosten nie. „Uns wählen Rentner, Frauen und Angestellte im öffentlichen Dienst“, so Schneider. Bei Arbeitern, im Hartz-IV-Milieu oder an den Universitäten macht die SPD kaum Punkte. Auch die Verankerung in Gewerkschaften, in Arbeiterwohlfahrt und Wohnungsbaugenossenschaften ist lose. Bei Landtagswahlen im Südosten bekommen die Sozialdemokraten um die 10 Prozent.
Bei Bundeswahlen geht Erfurt seit 2009 verlässlich an die CDU. Und links der Mitte ist die Konkurrenz groß. 2021 treten Linksparteichefin Susanne Hennig-Wellsow und Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt an. Schneider hofft gleichwohl, Erfurt direkt zu gewinnen. 2017 bekam er 18 Prozent der Erststimmen. Diesmal werden auch knapp über 20 Prozent reichen, um zu siegen. „Ich habe eine Chance“, sagt er.
Und die SPD? „Scholz löst im Osten keine La-Ola-Wellen aus. Aber die Leute gehen aus der Veranstaltung raus und sagen: Okay, den nehmen wir“, so Schneider. Weil die Bindung an Parteien im Osten generell schwächer ist, würden viele eher Personen wählen. Scholz komme im Osten besser an als Baerbock und Laschet. Das ist die Hoffnung der SPD für den Osten.
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