: Der Schlupf amSilbersee
Von Michael Kalus (Fotos) und Michael Brake (Text)
Wer die Geburt einer Gemeinen Heidelibelle erleben möchte, muss früh aufstehen. In diesen Monaten ist Libellenschlupfsaison, und schon in den frühen Morgenstunden klettern die Larven aus dem Wasser und suchen sich einen Platz in den Pflanzen am Ufer, wo sie in Ruhe die Metamorphose in das erwachsene Tier vollziehen können. So auch an einem Tag Ende Juli am Silbersee im Norden von Dresden. Um halb neun Uhr morgens sind die meisten Libellen schon geschlüpft, nur eine Larve krabbelt noch herum.
Wer die Geburt einer Gemeinen Heidelibelle erleben möchte, muss außerdem Geduld mitbringen. Eine knappe Viertelstunde dauert es allein, bis die Larve eine Position gefunden hat. Um 8.49 Uhr beginnt dann der eigentliche Schlüpfvorgang. Zunächst muss die Libelle die Larvenhaut, die nicht mitwächst und ihr schon zu klein geworden ist, von innen aufdrücken; dann presst sie sich langsam in die Welt hinaus. Kopfüber verharrt sie mehr als zwanzig Minuten, bis sie wie ein Geräteturner hochschwingt und sich an ihrer früheren Hülle festhält – kaum zu glauben, dass sie dort gerade noch hineingepasst haben soll!
Eine weitere halbe Stunde bleibt das Tier in dieser Position, wobei es langsam seine Flügel entfaltet, vier an der Zahl. Dann beginnt die Libelle nach oben zu klettern; noch kann sie nicht fliegen, die Flügel, ganz milchig sind sie noch, müssen aushärten und sich ein wenig öffnen. Nach und nach ändert sich nun auch die Farbe der Libelle. Erst jetzt ist zu erkennen, um welche Heidelibellenart es sich genau handelt. Vollkommen ausgebildet sind Gemeine Heidelibellen eher rötlich gefärbt.
Knapp zwei Stunden nach der Geburt sind die Flügel beinahe durchsichtig, rund fünf Zentimeter misst sie jetzt, viermal so viel wie als Larve. Nun kann die Libelle fliegend die Welt erkunden, kann auf Partnersuche gehen und neue Eier produzieren, die zu Larven werden und schließlich zu Libellen. Doch daraus wird nichts: Gegen 10.50 Uhr kommt das Küken eines Teichhuhns am Silbersee vorbei. Es verdreht den Kopf, erspäht die Libelle, springt und – frisst sie auf!
Welch Tragik! Doch tröstlich ist, dass die Libelle als Larve schon rund ein Jahr auf der Welt verbracht hat. Die Lebenserwartung in der uns Menschen vertrauteren Form mit Flügeln und allem Drum und Dran beträgt hingegen nur wenige Monate. Den größten Teil ihrer Existenz hatte diese Gemeine Heidelibelle also hinter sich. Nur geflogen ist sie nie.
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