Sportdiktatur in Belarus: Sprinterin auf der Flucht

Wer das Sportsystem kritisiert, muss mit Repressalien rechnen. Die 200-Meter-Sprinterin Kristina Timanowskaja wurde zur Staatsfeindin in Belarus.

Die Sprinterin Kristina Timanowskaja bei ihrem Rennen

Einen Vorlauf über 100 Meter durfte Kristina Timanowskaja absolvieren, danach sollte sie abreisen Foto: Martin Meissner/ap/dpa

Kristina Timanowskaja war eine glückliche Olympionikin. Die Sprinterin aus Belarus postete vor ihrer Abreise nach Tokio stolz Bilder ihrer Bordkarte auf Instagram, schickte dann Bilder mit dem Blick aus ihrem Zimmer über das olympische Dorf hinaus in die Welt und versprach, ihr Bestes zu geben. Am Sonntag, vier Tage später, gilt sie in ihrer Heimat als Persona non grata. Funktionäre ihres Verbandes wollten sie gegen ihren Willen ausfliegen. Man packte ihre Koffer und verfrachtete sie in ein Auto Richtung Flughafen.

Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja sollte später via Twitter von Kidnapping sprechen. Am Airport wandte sich die Sprinterin an die japanischen Sicherheitsbehörden und begab sich in deren Gewahrsam. Die Sprinterin sandte per Videobotschaft einen Hilferuf an das Internationale Olympische Komitee. Innerhalb weniger Stunden war aus einem nicht besonders auffälligen Mitglied der Olympiamannschaft von Belarus eine Staatsfeindin geworden.

Begonnen hatte die Story um Timanowskaja mit einer Entscheidung der Athletics Integrity Unit des Internationalen Leichtathletikverbands, drei belarussischen Leichtathletinnen die Teilnahme an den Spielen zu verwehren, weil an ihnen zu wenige Dopingtests durchgeführt worden waren. Darunter waren zwei Läuferinnen der 4x400-Meter-Staffel. Die Trainer setzten die 200-Meter-Spezialistin Timanowskaja ohne deren Wissen auf die Teilnehmerinnenliste für die Staffel. Darüber äußerte die Sprinterin auf Instagram ihren Unmut. Die Kritik an den Trainern, die auch für den Ausschluss ihrer Kolleginnen von den Spielen verantwortlich seien, wurde in belarussischen Medien wie Landesverrat verhandelt.

Unheimlicher Besuch

Derweil suchte der Trainer der belarussischen Sprinter die 24-Jährige im olympischen Dorf auf und forderte sie auf, eine Verletzung vorzutäuschen und ihren Start über 200 Meter abzusagen. „Das Thema wird nicht auf der Ebene des Verbandes oder des Sportministeriums verhandelt“, soll der Trainer gesagt haben, nachdem sie sich geweigert hatte, das Spiel mitzumachen. Doch man gab ihr zu verstehen, dass sie keine Wahl habe. Von diesem Moment an hatte sie Angst, im Gefängnis zu landen.

Sie beriet sich mit Freunden und ihrem Mann und entschloss sich auf dem Flughafen, sich in die Obhut der japanischen Polizei zu begeben. Von dort setzte sie ihren Hilferuf an das IOC ab. Das kündigte in einer ersten Stellungnahme an, dem Fall nachgehen zu wollen. Derweil verschickte die belarussische Olympiadelegation eine Stellungnahme, in der es hieß, Timanowskaja sei wegen psychischer Probleme zurückgezogen worden.

Kristina Timanowskaja in Begleitung mit Gepäck.

Kristina Timanowskaja beim Betreten der polnischen Botschaft in Tokio am 2. August Foto: Kim Kyung-Hoon/reuters

Timanowskaja hatte in einem Gespräch mit dem oppositionsnahen Sportportal tribuna.by ihrer Verwunderung Ausdruck verliehen, dass man ihr, während sie ihre Sachen zu packen hatte, einen Psychologen ins Zimmer geschickt habe. „Er hat mir irgendeinen Quatsch erzählt, wie er mit Mördern gearbeitet hat“, schildert sie den unheimlichen Besuch und meinte: „Ich habe versucht, einfach nicht hinzuhören.“ Jetzt wird sie wissen, warum der Psychologe bei ihr war.

Die Angst Kristina Timanowskajas vor Repressalien ist nicht unbegründet. Sportlerinnen, die sich an den Protesten gegen die Wahlfälschungen, mit denen sich Langzeitpräsident Alexander Lukaschenko im vergangenen Jahr eine weitere Amtszeit erschlichen hat, beteiligt haben, wurden aus Kaderlisten entfernt oder landeten hinter Gittern. Aus diesem Grund hatte das IOC den damaligen Chef des Nationalen Olympischen Komitees von Belarus von den Spielen ausgeschlossen. Dessen Name: Alexander Lukaschenko. Auch sein Nachfolger seht unter dem IOC-Bann. Der heißt Viktor Lukaschenko und ist der Sohn des Präsidenten.

Am Montagmorgen teilte das IOC mit, Timanowskaja habe die Nacht unter Polizeischutz in einem Hotel verbracht. Zudem habe man das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in die Angelegenheit involviert. Gut möglich, dass Timanowskaja bald in Polen landet. Pawel Jablonski, der stellvertretende Außenminister des Landes, sagte am Montagvormittag, man habe sich der Sache angenommen. Auch das Thema politisches Asyl sei verhandelt worden. Timanowskajas Mann, Arseni Sdanewitsch, hat sich derweil in die Ukraine abgesetzt. Die Angst geht um in der Familie der Sprinterin.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.