piwik no script img

Politik und Psyche

Im Hamburger Kunstverein spürt ein Film von Albert Serra deutscher Toxizität nach. Erinnert wird auch an den rebellischen Straßen-Antikünstler Peter Ernst Eiffe

Von Hajo Schiff

Schön, dass es gerade wieder leichter ist, Kulturinstitutionen zu besuchen. Schön leichtverdaulich geht es dort deswegen aber nicht unbedingt zu. So stellen die aktuellen Ausstellungen im Kunstverein in Hamburg schwere Fragen. Da geht es einmal um künstlerische Interventionen, die einen im Hamburg des Jahres 1968 direkt in die Psychiatrie führten; und im Außenblick eines 1975 geborenen katalanischen Filmemachers um die grundsätzliche Toxizität der deutschen Kultur seit Goethe. Ein Stoff, auch formal kaum zu bewältigen: Albert Serras auf drei Screens gebrochener Film, zu sehen im Obergeschoss, hat eine Gesamtlaufzeit von 101 Stunden. Und im Dunkel jenseits der Projektionen sind hinter hohen KZ-Zäunen drei Schweinekadaver auszumachen.

„The Three little Pigs“ entstand 2012 für die documenta (13): An jedem Tag wurde der deutschen Geistesgeschichte und ihren Mythen nachgeforscht, eine Stunde Film lang, anhand von Goethe, Hitler und Fassbinder. Schauspieler zitieren aus publizierten Tischgesprächen und Interviews. Das baut sich auf zu einer schaurigen Dämonologie, in der Überheblichkeit und Machtphantasien auffällig werden. Vom olympischen Weimar über das direkt benachbarte teuflische Buchenwald zur besessenen, von Aggression nicht freien Nachkriegsreflektion sind da viele Zusammenhänge erkennbar – und bleiben doch Behauptung: Eine tatsächlich komplette Auseinandersetzung mit Serras Mammutarbeit dürfte schon mangels ausreichender Aufmerksamkeitszeit kaum möglich sein.

Bereits der Titel „The Three little Pigs“ ist vertrackt: Er bezieht sich weniger auf die drei zitiert-gespielten Menschen, sondern ist eine komplexe kultur- und filmhistorische Anspielung: Walt Disney machte aus der viktorianischen Fabel von den drei kleinen Schweinchen und dem bösen Wolf 1933 einen erfolgreichen Zeichentrickfilm. Den variierte der Trickfilmer Tex Avery 1942 zum Anti-Nazi-Film „Blitz Wolf“; hier war dann der Wolf zu Hitler geworden.

Parallel zu den Unruhen im Mai 1968 waren Eiffes Filzstift- Botschaften überall in Hamburg zu lesen

Eine eher anekdotische und sehr hamburgspezifische Geschichtserinnerung wird im Erdgeschoss präsentiert: Peter Ernst Eiffe war der Adoptivsohn eines Fregattenkapitäns und hohen Nazis und wurde selbst Reserveleutnant. Als Beamter im Statistischen Landesamt wurde er wegen Eigenmächtigkeit gekündigt – und zu einer mit dem Aufbruch der späten 60er-Jahre verbundenen, rebellischen Legende. Parallel zu den Unruhen im Mai 1968 waren für einige Wochen seine mit Filzstift geschriebenen Botschaften überall in Hamburg zu lesen: „Eiffe schenkt Frauen Rosen“, „Frühling für Europa“ oder „Sei keine Pfeife, wähl Eiffe“ stand krakelig auf Plakaten und Verkehrszeichen, auf Preisschildern und U-Bahn-Wänden, ja: sogar auf dem Weiß von Zebrastreifen.

In politischen Versammlungen kämpfte er mit einer Wassermaschinenpistole, er beschrieb das Preisband der „Miss Universe“ mit dem Satz: „Eiffe will auch Mr. Universität werden“, und ging in seinen aufmüpfigen Grenzüberschreitungen – immer mit Anzug und Schlips – weiter als die APO-Berühmtheit Fritz Teufel.

Aber auch wenn damals die Absurditäten des Alltags in wilder Weise aufgezeigt wurden, die Zeiten waren immer zugleich theoriesatt: „Wenn man sich die Freiheit nimmt, sein Unbewusstes unzensiert in Sprachform auf die Wirklichkeit wirken zu lassen, so kann das nur in der Hoffnung geschehen, dass dies als Protest gegen die absurd scheinende Welt des manipulierten Verstandes nachempfunden werden kann.“ Auch so formulierte „Eiffe der Bär“.

Als er mit seinem – ebenfalls beschrifteten – Fiat Topolino in den Hamburger Hauptbahnhof fuhr und dort in der Wandelhalle die „Freie Eiffe-Republik“ ausrief, endete das Spaßverständnis der Exekutive: Eiffe wurde weggesperrt in die Psychiatrie. Das Politische ist leicht als manischer Egotrip zu diskreditieren, insbesondere, wenn nicht durch die „Kunstfreiheit“ geschützt. Trotz Versuchen, danach wieder „normal“ zu leben, kam Eiffe erneut in eine psy­chiatrische Klinik und erfror 1982 auf der Flucht durchs Moor.

Die Ausstellung nun präsentiert erst einmal die wenigen erhaltenen Dokumente, überwiegend aus der Sammlung des Hamburger Dokumentar-Filmemachers Christan Bau. Der hatte schon 1995 den jetzt im Foyer gezeigten Film „Eiffe for President: Alle Ampeln auf gelb“ gedreht. Vor allem aber stellt Kurator Nicholas Tammens Eiffes Agit-Prop-Aktionen in einen kunstgeschichtlichen Zusammenhang: Er zeigt Ähnlichkeiten auf mit der „Situationistischen Internationale“ oder Techniken der Konfrontation mit Produktwerbung und des kommentierenden Überschreibens, beispielsweise bei Sigmar Polke oder K.P. Brehmer.

Ohne ihn nun zum großen Künstler auszurufen: Eiffes Aktionen im öffentlichen Raum könnten aus heutiger Sicht vorbildhaft sein für viele spätere Demonstrations- und Ausdrucksformen des Protests im sozialen Alltag, von Graffiti bis hin zu Anette Wehrmanns Papierschlangentexten, dem Kreis um „Park Fiction“ oder aktuellen Häuserkämpfen. Insofern ist die Schau eine gelungene politisch-ästhetische Erinnerung.

Peter Ernst Eiffe & Friends und Albert Serra – „The Three Little Pigs“ bis 15. 8., Hamburg, Kunstverein

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen