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Wo Krautrockalles hinführt

Das Festival „21 Sunsets“ beginnt am heutigen Donnerstag mit einer Mischung aus Musik, Literatur und Kino im HKW. Einer der Acts ist die eklektische Band Keshavara mit ihrer Fantasieshow

Machen Musik wie andere Leute Cocktails, nachdem sie drei getrunken haben: Keshavara Foto: Niclas Weber

Von Stephanie Grimm

Wie der Name bereits andeutet: „Keshavara’s Kabinett der Phantasie“ ist ein ausufernd-eklektisches, assoziationsreiches Vergnügen. Auf dem gleichnamigen Album trifft psychedelische Abstraktion auf schmeichelnde, aber doch schräge Melodien; zusammengehalten wird das von HipHop-Beats, krautrockigen Loops, indischen Klängen und dreampoppigen Synthieflächen. Zugleich spricht eine große Liebe für die Spätphase der Beatles aus dem Sound des Kölner Duos.

Zu verdanken haben wir die ausufernden Klänge, die Ke­shav Purushotham und Niklas Schneider im Rahmen der „21 Sunsets“ auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt als Vorgeschmack auf ihre Albumveröffentlichung im Frühherbst präsentieren werden, unter anderem, zumindest indirekt, dem Umstand, dass sich eine deutsche Krautrock-Band vor über 40 Jahren mit dem Bus nach Indien aufmachte – dem Hippie-Trail folgend. Auf dem Weg spielte die Band, Embryo aus München, Jam-Sessions mit lokalen Musikern – ein Unterfangen, das in Werner Penzels sehenswertem Film „Vagabunden Karawane“ (1980) dokumentiert ist.

So trafen sie unter anderem auf den indischen Perkussionisten und Schlagzeuger Ramesh Shotham. Den führte diese Begegnung letztendlich langfristig nach Deutschland, wo sein Sohn Keshav Purushotham dann auch aufwuchs. Kaum mit der Schule fertig, wandte Keshav sich beruflich ebenfalls der Musik zu – zunächst in ganz anderen Gefilden: von 2002 bis 2012 war er Sänger und Gitarrist der Kölner Indie-Pop-Combo Timid Tiger.

Nach dem Aus der Band ging Purushotham als Stipendiat des Goethe-Instituts nach Indien – der Beginn einer intensiveren Auseinandersetzung mit seinen musikalischen und privaten Wurzeln. Daraus entwickelte sich das Projekt Keshavara, das der Musiker zunächst solo betrieb; seit der letzten, elektronisch groovenden EP „Pineapple Meditation“ ist auch sein langjähriger Schlagzeuger Niklas Schneider festes Bandmitglied.

Wahrlich grenzüberschreitend sind auch die Sounds, die die beiden in ihrer allmonatlichen Show beim Internetradio „Dublab“ vorstellen. Die Show fungiert als Ideengenerator, so erzählen sie, und zugleich als eine Art Filter, der dafür sorgt, dass ihr wilder Eklektizismus nicht zum beliebigen Mischmasch ausartet: „Wir bringen alles mit, was uns so interessiert, und probieren das in diesem Raum aus. Dabei kommt es zu neuen Ideen. Manches inspiriert uns, mehr daraus zu machen, anderes fällt bald wieder weg.“

Vor diesem Hintergrund erstaunt nicht, dass die beiden im Zoom-Interview die Möglichkeit, sich mit Menschen in aller Welt zu verständigen, gerade, wenn man keine gemeinsame Sprache spricht, als eine maßgebliche Motivation bezeichnen, überhaupt Musik zu machen.

Damit passen sie bestens ins Programm der „21 Sunsets“, einer kommendes Wochenende startenden Veranstaltungsreihe am Haus der Kulturen der Welt. Schon zum zweiten Mal kann pandemiebedingt das tradi­tio­nell im Sommer eingeplante „Wassermusik“-Festival nicht stattfinden; bei dem steht die wechselseitige musikalische Stimulation über Kontinente hinweg von jeher im Fokus. Bei „21 Sunsets“ bringen nun eben stattdessen Berliner oder deutsche Musiker Klänge und möglichst hybride Klangwelten auf die atmosphärische Dach­terrasse. Auch Lesungen und Filmvorführungen stehen auf dem Programm. Eröffnet wird die Reihe am heutigen Donnerstag mit der Lesung von „Die Politiker“ des Dramatikers und Lyrikers Wolfram Lotz.

Ausgesprochen organisch habe sich die Arbeit an „Ke­sha­vara’s Kabinett der Phantasie“ angefühlt, erzählt Purushotham. Er und Schneider hätten sehr viel Zeit im Studio verbracht, statt Files hin und her zu schicken, und dabei auch mit Instrumenten und analogen Sounds experimentiert.

Selbstverständlich sei Corona auf vielen Ebenen ein Desaster. „Gerade als Künstler ist man wirklich tief gefallen. Aber was den kreativen Prozess angeht, erwies sich die Situation auch als ein Segen. Mit Dingen, für die wir unter normalen Bedingungen vielleicht drei Wochen Zeit gehabt hätten, konnten wir uns über ein Jahr beschäftigen.“ So entstand zusätzlich ein Musikfilm, der Anfang Oktober parallel zum Album herauskommen soll.

Das Album klingt trotzdem alles andere als überproduziert. Eher strahlt es eine abgehangene Lässigkeit aus, wie es in der Konzertankündigung des HKW schön auf den Punkt gebracht wird: „Keshavara machen Musik wie andere Leute Cocktails, nachdem sie schon drei getrunken haben.“

Ihr Sound geht auf in einem magisch-realistischen Gesamtkunstwerk. Bei der synästhetischen Bühnenshow wird nicht nur eine vierköpfige Band auf der Bühne stehen, sondern auch Tän­ze­r*in­nen und ein Moderator. Der fungiert bisweilen als Wahrsager – natürlich mit dem Augenzwinkern, das die Welten durchzieht, das dieses crosskulturelle Projekt auf ziemlich verspielt-verschmitzte Weise aufmacht.

21 Sunsets, 15. 7.–15. 8., Programm unter www.hkw.de; open air auf der Dachterrasse, bei Schlechtwetter-Prognose entfällt die Veranstaltung. Keshavara tritt zusammen mit der Musikerin Ale Hop am 24. 7. um 20 Uhr auf

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