: Erzwungen unfruchtbar
Über Jahre hinweg waren Romna in der sozialistischen Tschechoslowakei wie auch deren Nachfolgestaat Tschechien in Gefahr, gegen ihren Willen oder ohne ihr Wissen sterilisiert zu werden. Nach jahrelangem Kampf ist am Donnerstag ein Gesetz zur Entschädigung betroffener Frauen im tschechischen Parlament verabschiedet worden. Bis zu 300.000 Kronen (rund 12.000 Euro) stehen Frauen zu, die von dieser rassistischen Praxis betroffen waren.
Bis zu 400 Romna sollen zwischen 1966 und 2010 gegen ihren Willen sterilisiert worden sein. Manche wurden ungefragt während eines Kaiserschnitts ihrer Fruchtbarkeit beraubt, die meisten wurden zu diesem Schritt genötigt, zum Beispiel indem ihnen mit Kürzung von Sozialleistungen oder Wegnahme ihrer Kinder gedroht wurde.
„Wir haben Fälle dokumentiert, die den Druck und die Manipulation, die auf die Frauen ausgeübt wurde, sehr gut aufzeigen. In einem Fall war die Sterilisation nicht gelungen und die Frau wurde erneut schwanger. Daraufhin hat das Sozialamt sie zu einer Abtreibung gezwungen, mit der Begründung, sie habe ja für ihre Sterilisation Geld bekommen“, erzählt Helena Sadlikova, die auf der Prager Karlsuniversität über das Leben der Roma im Mitteleuropa der Moderne forscht.
Die Roma, sagt sie, wurden nach dem Krieg zwar als Arbeitskräfte gebraucht. Dennoch gab es Bemühungen, die an die Vorkriegszeit anknüpften, um die Roma zu „kontrollieren“. Diese Zwangssterilisationen folgten keiner zentralen systematischen Regelung. Stattdessen, sagt Sadlikova, baute diese Praxis auf einem historisch verankerten Antiziganismus in Böhmen und Mähren auf, der bis heute einen gesellschaftlich anerkannten Rassismus darstellt.
Der Eifer, mit dem tschechoslowakische Behörden die Sterilisierungen als Beitrag zur „Lösung der Zigeunerfrage“ begriffen, ein Wort mit dem viele Tschechinnen und Tschechen bis heute eher sorglos umgehen, nahm im Jahre 1979 eine weitere Dynamik an. Damals wurde eine sogenannte finanzielle Motivation eingeführt, die Romna zur Sterilisierung bewegen sollte. Praktisch bedeutetet dies ein weiteres Instrument, mit dem die Frauen manipuliert wurden.
Laut einem Bericht des European Roma Rights Center von 2016 arbeiteten SozialarbeiterInnen, Ärzte und Krankenschwestern zusammen daran, Romna dazu zu bringen, sich sterilisieren zu lassen. Bekannt sind auch Fälle, in denen Unterschriften oder Krankenhausberichte gefälscht wurden oder in denen Frauen unter Betäubung ohne ihr Wissen die Eierstöcke abgebunden wurden.
Diese Praxis überlebte das kommunistische Regime um über 20 Jahre. Der letzte bekannte Fall, in dem eine Romna gegen ihren Willen sterilisiert wurde, stammt aus dem Jahr 2010.
Mit dem Entschädigungsgesetz übernimmt Tschechien die Verantwortung für die Zwangssterilisierungen. „Das ist ein unglaublicher Meilenstein für all diese Frauen“, freut sich die Stellvertreterin des tschechischen Ombudsmanns, Monika Simunkova. Alexandra Mostyn
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