: „Leider gibt es viel Klischeedenken“
Was ist von der Willkommenskultur, die 2015 so viele Menschen in Deutschland mitgetragen haben, übrig geblieben? Wir erleben Geflüchtete die Stimmung in Osnabrück oder Hannover?
Von Harff-Peter Schönherr
Worte sind geduldig. Ein Beispiel dafür ist das „Wir über uns“ der Website des niedersächsischen Innenministeriums. Geflüchteten und AsylbewerberInnen, die nach Niedersachsen kommen, werde „eine offene und humane Willkommenskultur entgegen gebracht“, heißt es da.
Willkommenskultur. Das ist nicht nur irgendein Wort. Es ist ein Wort von Tragweite: Rund 861.000 „ausländische Personen“ leben laut Ausländerzentralregister (AZR) in Niedersachsen, Stand Anfang 2021.Rund 141.000 davon sind als „Personen mit Flüchtlingskontext“ erfasst.
Aber nicht alle, die in Niedersachsen ankommen, sich hier Sicherheit und Zukunft erhoffen, sich integrieren wollen, sich Teilhabe wünschen, erleben nur Offenheit und Humanität. „Die Bedrohungslage für Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte ist hoch“, sagt Sascha Schießl vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. Und dann zählt er auf: 2020 eine Brandanschlagsserie im Bremer Umland, auf Restaurants, betrieben von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte. 2021 ein Anschlag auf die Erstaufnahmeeinrichtung in Oldenburg. Die Ermordung von Arkan Hussein Khalaf in Celle, im April 2020. Mordversuch an Hakim S. in Esens, im Juli 2020.
„Nach wie vor“ gebe es „ein großes zivilgesellschaftliches Engagement in Niedersachsen“. Selbstorganisationen von Menschen mit Fluchtgeschichte seien „wichtige Akteure in den Debatten um die Rechte und die Teilhabe von Geflüchteten“. Aber: „Die Landespolitik muss mehr als bisher den Kampf gegen rechte Gewalt und den Schutz der Betroffenen zu ihrem Schwerpunkt machen“, fordert Schießl.
Das Bündnis „Niedersachsen zum Sicheren Hafen für alle“, Dutzende Mitglieder stark, von Fridays for Future bis zur Caritas, ist ein gutes Zeichen. Auch dass 48 niedersächsische Kommunen sich zu „sicheren Häfen“ erklärt haben, macht Hoffnung.
Aber es gibt Rückschläge: „Die Unterstützungsbedarfe von Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Gewalt geflohen sind, sind komplex“, sagt Schießl. „Viele Herausforderungen für Geflüchtete kommen auch noch Jahre nach dem Ankommen in Niedersachsen zum Tragen.“ Der Flüchtlingsrat beobachte „die zahlreichen Kürzungen der Flüchtlingssozialarbeit in den Kommunen daher mit großer Sorge“.
Roya Amin (Name geändert) hat nicht nur Offenheit und Humanität erlebt. Nach ihrem Master-Studium Management and Economics in Bochum ging sie Ende 2016 zurück nach Afghanistan. Von dort musste sie Anfang 2018 fliehen, auch wegen ihres Einsatzes für die Frauenrechte. „Sonst wäre ich getötet worden.“ Auch ihre Familie ist geflohen. Die Chance, sie nach Deutschland zu holen, ist minimal.
Amin, in Hannover in der Flüchtlingshilfe aktiv, ist Akademikerin, spricht Deutsch. Aber das hilft ihr nicht. Auch weil sie Kopftuch trägt. „Bei einer Firma hatte ich mich ohne Foto beworben. Ich wurde eingeladen. Da sahen sie dann mein Kopftuch. Keiner hat was drüber gesagt, aber ich konnte sehen, wie schockiert sie waren. Ich habe dann nie wieder was von ihnen gehört.“ Sie macht eine Sprechpause: „Das ist sehr typisch.“
Ahmed Moussa hat Positiveres erlebt. Mitte 2015 flüchtete er aus Syrien; er wollte nicht gegen seine Landsleute kämpfen, zwangsrekrutiert für den Bürgerkrieg. Mehrfach sei seine Flucht fehlgeschlagen, die Erlebnisse waren traumatisierend. „Ich wollte ein Leben in Sicherheit“, sagt er, „in einem Land guter Möglichkeiten, wo es eine Zukunft gibt.“ Heute lebt Moussa als Informationselektroniker in Hannover, für die Handwerkskammer wirbt er als „Botschafter des Handwerks“ um neue Auszubildende.
„Deutschland ist meine zweite Heimat“, sagt er. „Bald kann ich die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.“ Die Menschen in Hannover erlebt er als freundlich. „Ich habe viel Unterstützung erfahren.“ Aber die zunehmende Rechtslastigkeit der Gesellschaft macht ihm Angst. Auch weil seine Frau Kopftuch trägt. „Leider gibt es viel Klischeedenken.“
Moussa hilft beim Projekt „Erfolgreich Dual“ des Instituts für Pädagogische Professionalität in Hannover als „Brückenbauer“ jungen Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund auf ihrem Weg in die Ausbildung.
Auch Mohamad Alasfour ist dort „Brückenbauer“. Vor fünfeinhalb Jahren kam er aus Syrien nach Hannover. „Die Willkommenskultur, die ich anfangs gespürt habe, verliert sich leider allmählich“, sagt er. Alasfour ist Fachinformatiker und beantragt Ende des Jahres die deutsche Staatsbürgerschaft. Auch er wollte in Syrien nicht zur Armee: „Da hätte ich vielleicht auf Leute schießen müssen, mit denen ich zur Schule gegangen bin.“ Rassismus hat er in Deutschland selbst nicht erlebt. „Aber ich kenne viele, denen es anders ging.“
Badreldeen Babiker, stellvertretender Vorsitzender von „Exil“, dem Osnabrücker Zentrum für Flüchtlinge, kam 2014 aus dem Sudan. Lange hatte er gezögert, seine Heimat zu verlassen, wollte dort weiter für die Demokratiebewegung kämpfen. „Aber die Geheimpolizei hat mich mehrfach zu ermorden versucht“, sagt er, „hat mich inhaftiert, gefoltert, kam dann zu meiner Mutter nach Hause. Da wusste ich, ich musste gehen.“
Nach Deutschland wollte er erst gar nicht: „Ich hatte gehört, dass die Deutschen keine Dunkelhäutigen mögen, dass sie wie Maschinen sind.“ Aber es kam anders, nach einer Odyssee zu Fuß, im Schlauchboot, per Lkw, durch ein halbes Dutzend Länder. Auch er hat persönlich in Deutschland keine Diskriminierung erlebt. Aber auch er weiß von anderen, dass das nicht für alle gilt.
Babiker sieht in Deutschland sein Zuhause. In Osnabrück arbeitet er für die Aidshilfe und sitzt im Migrationsbeirat der Stadt. Mit Niedersachsens Innenministerer Boris Pistorius (SPD) hat er schon mehrfach konferiert. „Dass ich so was als Flüchtling erlebe, bestärkt sehr.“ Aber nicht alles sei gut: „Es kommt schon vor, dass ich an der Bushaltestelle ungefragt geduzt werde: Und, hast du hier Arbeit? Als ob ich nur hier bin, um Hilfsgelder abzugreifen! Ich frage dann immer zurück: Und, hast du?“
Hussein O. kam im Herbst 2015 nach Deutschland, aus Syrien. Heute studiert er in Hannover Tiermedizin. „Von Beginn an habe ich mich wohlgefühlt“, sagt er. Gut, es hat anderthalb Jahre gedauert, bis sein Deutschkurs endlich begann. Da hatte O. sich alles bereits selbst beigebracht: „Das ist ja das Wichtigste, dass du die Landessprache kannst. Wir haben zu zehnt am Tisch gesessen und gelernt“. O. hat deutsche Freunde, spricht Deutsch häufiger als Arabisch. „Schlimm war, dass der Lockdown mich sprachlich zurückgeworfen hat“, sagt er. „Ich habe zu Hause gesessen, kaum jemanden gesehen. Danach waren meine Deutschkenntnisse schlechter als zwei Jahre zuvor.“
Die zentrale Rolle der Sprache betont auch Mahmoud Mahmoud, seit 2015 in Deutschland: „Wenn du Deutsch sprichst, kommen viele Probleme gar nicht erst auf.“ Mahmoud arbeitet als Zahntechniker und macht bald seinen Meister. Er wohnt in Hannover und findet, dass die Stadt „Fremde herzlich willkommen heißt“. Und doch kennt er auch eine negative Seite. Zwei der fünf Jahre, die es dauerte, seine Frau nach Deutschland zu holen, seien unnötig gewesen: „Das war eine Fehlleistung der Behörden. Mails waren irgendwo hängengeblieben, hieß es.“
Niedersachsen lebt die Willkommenskultur? Kommt, wie immer, auf die Einzelnen an.
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