Messenger-App WeChat: Sämtliche LGBT-Foren geschlossen

Die App hat sämtliche Accounts der LGBT-Gruppen von Studierenden dichtgemacht. Eine Erklärung über die Gründe blieb das Unternehmen bislang schuldig.

Smartphone mit WeChat Logo vor Regenbogenflagge

Sämtliche WeChat-Gruppen der studentischen LGBT-Community in China wurden geschlossen Foto: Andre M. Chang/imago

PEKING taz | Als der 23-jährige Nick sein Studium anfing, hat er als erster Student seiner Uni 2018 einen LGBT-Club geöffnet. Trafen sich die Studierenden zunächst zu Filmabenden und Diskussionsworkshops, organisierten sie sich schon bald auch online über WeChat – jene App, die praktisch jeder Chinese nutzt. „Aber mit der Zeit wurden die Freiheiten immer enger“, sagt Nick, der eigentlich anders heißt, doch lieber anonym bleiben möchte.

Diese Woche schließlich wurden sämtliche WeChat-Accounts von studentischen LGBT-Gruppen geschlossen, darunter auch die Communitys der renommierten Tsinghua-Universität in Peking und der Fudan-Universität in Schanghai. Eine genaue Erklärung für die Entscheidung blieb die Onlineplattform schuldig.

Für junge Homosexuelle war dies ein schwarzer Tag, denn die stillgelegten Seiten haben vielen Chinesen nicht nur eine Gemeinschaft gegeben, sondern auch als Informationsplattform über Genderthemen, mentale Gesundheit, und Diskriminierungserfahrungen gedient.

Von der Paranoia getrieben

„Um ehrlich zu sein, kommt das alles nicht unerwartet“, sagt der 35-jährige LGBT-Filmemacher Fan Popo, der seit einigen Jahren bereits in Berlin lebt. Nach seinem Studium an der Pekinger Filmakademie wurde er selbst Opfer der behördlichen Zensur. Seine Dokumentationen wurden aus dem Netz verbannt.

Als Fan Popo zur Uni ging, gab es weder Smartphones noch Social-Media-Accounts. „Dennoch hatten auch wir unsere LGBT-Gruppen, denn jede Universität hatte sein eigenes elektronisches schwarzes Brett. Diese Gruppen waren sehr wichtig für mich, dort habe ich auch meinen ersten Freund gefunden“, erinnert sich der Aktivist.

Offiziell setzt sich die chinesische Regierung bis zu einem gewissen Grad für die Rechte von sexuellen Minderheiten ein. Noch vor knapp 25 Jahren schließlich war Homosexualität eine Straftat, bis 2001 als psychische Störung klassifiziert. Längst gibt es in China die weltweit größte schwule Dating-App und auch offen schwule Clubs und Kneipen. Gleichzeitig jedoch hat Staatschef Xi Jinping sämtliche Bürgerrechtsbewegungen an die Kandare genommen, darunter sämtliche LGBT-Organisationen.

Angst vor sozialen Bewegungen

Das Vorgehen ist allerdings weniger inhaltlich motiviert als durch eine tiefgreifende Paranoia. Denn unter Pekings Parteikadern wie auch unter patrio­tischen Social-Media-Nutzern wird Homosexualität nicht selten als US-amerikanische Verschwörung dargestellt.

In einem Kommentar auf Weibo, dem chinesischen Twitter, heißt es etwa: „Nachdem die LGBT-Gruppen geschlossen wurden, haben sie versucht, mit ausländischen Medien zu konspirieren, um Schützenhilfe zu bekommen. Solche Aktionen stärken jedoch nur die Entschlossenheit von uns chinesischen Patrioten, unsere Kinder vor der korrupten westlichen Kultur zu schützen.“

Viele junge Homosexuelle fühlen sich trotz der jüngsten Maßnahmen nicht als Zielscheibe der Autoritäten. „Sexuelle Minderheiten sind eigentlich kein besonders sensibles Thema. Ich glaube, es geht bei den Schließungen vor allem um Studentengruppen im Allgemeinen“, sagt die 21-jährige Ru, die sich als lesbisch identifiziert. Die Regierung habe Angst vor sozialen Bewegungen, ganz gleich, ob Solidarisierungen mit Gewerkschaften oder eben Frauenrechtlern.

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