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Unruhiges Rohstofflehrstück

Armin Petras bringt in Hannover „Öl der Erde“ von Ella Hickson erstmals auf eine deutsche Bühne. Dem sichtlich spielfreudigen Ensemble zum Trotz ringt der Abend allzu sehr mit dem Gewicht von 150 Jahren bewegter Geschichte

Von Katrin Ullmann

Da wird Holz gehackt und Teig geknetet, ein Huhn gerupft und Wäsche am Waschbrett geschrubbt: Im Cornwall des Jahres 1889 beginnt das „Öl der Erde“ – genauer gesagt auf einem dortigen Bauernhof. Armin Petras, der das Stück der britischen Dramatikerin Ella Hickson am Staatstheater Hannover zur deutschsprachigen Erstaufführung gebracht hat, inszeniert die Eingangsszene hinter einem Gaze-Vorhang. Roh und grob, fast naturalistisch zeichnet er die Figuren. Es ist eine große Familie, die da auf engem Raum lebt, die mit viel Mühe den Hof bestellt, die im eiskalten Winter die Tiere tränkt und den alten Ofen mit nur wenigen Holzscheiten füttert. Alle hier arbeiten hart, frieren, hungern und darben. Die Stimmung ist aggressiv, manche sprechen vom Weggehen, andere lieber ein gottesfürchtiges Gebet.

Nur ein paar gedimmte Scheinwerfer und wenige Kerzen funzeln ein atmosphärisches Licht auf die Bühne. Diese ist ein neutraler, weißer Raum, die Spuren harter Arbeit zeichnen sich stetig und staubig in ihn ein. Später wird auf dieser Bühne, die Julian Marbach entworfen hat, ein Champagner-Empfang inmitten der persischen Wüste stattfinden, werden Mutter und Tochter in ihrer Londoner Designerwohnung streiten, wird dieser Raum die Andeutung eines Wüstenorts sein.

Es ist ein Interpretationsraum, der alles aushält, der alles sein kann und wird. Der portalfüllende Gaze-Vorhang dient dabei immer wieder als Projektionsfläche – in der Eingangsszene für die Nahaufnahmen der Live-Kamera, später für Videofilme und kollektive Erinnerungsbilder aus den Medien. Schließlich wird an diesem Abend extrem viel Geschichte erzählt, nicht weniger als die Geschichte des Öls, einem der wichtigsten Rohstoffe der Industriegesellschaft, und damit zugleich die Geschichte von Wohlstand und Armut, von Fortschritt und Ausbeutung.

Zeitreise und Mahnung

Hicksons Text ist eine Zeitreise und eine Mahnung zugleich, die Handlung erstreckt sich über 150 Jahre: Beginnend inmitten der industriellen Revolution zeichnet das Stück den Weg des Erdöls nach und wirft am Ende einen Blick ins Jahr 2051, in dem das Ende des Ölzeitalters gekommen ist; ein Verlust, der die westliche Welt schwer beschädigt hat.

„Ein Bauernhof, Cornwall“ bildet jeweils den Ausgangs- und Endpunkt. Scheinbar mühelos reisen ihre zwei Hauptfiguren May und Amy durch die Zeit und die Zeiten und versuchen vor dem Hintergrund globaler Auswirkungen und Abhängigkeiten von einer der weltwichtigsten Ressourcen eine weibliche Emanzipationsgeschichte zu erzählen. Denn als ein gewisser Amerikaner namens William Whitcombe in das raue, ungemütliche Bauernhoftreiben hereinbricht, ist es die schwangere May, die ihm eine Tasse Tee anbietet. Sie entzündet kurz darauf eine Petroleumlampe: „Es spendet erheblich mehr Wärme als Walfettlampen oder Holz, es ist heißer als Kohle.“ Ein kurzes, grelles Leuchten und die Begeisterung für den Fortschritt reißen May weg: Kerosin! „Ich mag den Geruch“, sagt sie später, widerspricht ihrem Mann Joss, der sich jeglicher Innovation verweigert – und geht.

Im Verlauf des Abends passiert May gemeinsam mit ihrer Tochter Amy „Eine Kolonialresidenz, Teheran, 1908“, „Ein Haus in Hampstead, 1970“, „Wüste bei Kirkuk, Kurdistan, 2021“, um schließlich im Jahr 2051 auf jenen Bauernhof in Südengland zurückzukehren. Zwischendurch ist sie Zeugin, wie die britische Regierung, um den bedeutendsten Rohstoff Persiens auszubeuten, auch vor politischer Einflussnahme nicht zurückschreckt; später die Vorsitzende eines internationalen Ölkonzerns, die nicht nur mit der libyschen Regierung in Konflikt gerät, sondern auch mit ihrer Tochter Amy.

Petras inszeniert das Stück mit acht Schau­spie­le­r*in­nen: Anja Herden, Irene Kugler, Kaspar Locher, Niclas Matthews, Viktoria Miknevich, Alban Mondschein, Katherina Sattler und Hajo Tuschy – und verzichtet dabei auf eindeutige Rollenzuschreibungen. Alle spielen hier alle Figuren, sind Mutter, Tochter, britischer Offizier, Unternehmer oder erster Teenie-Freund. Da wird Englisch gesprochen und Arabisch, da wird gesungen und verführt, erpresst, gewütet und gebrüllt. Und immer wieder wird eine schwarze Masse gegen die Wände geschmiert, vermutlich ein Verweis auf das schwarze Gold.

Mit großer Selbstverständlichkeit schlüpfen die Dar­stel­le­r*in­nen in die verschiedenen Rollen, vollkommen unabhängig von Geschlecht, Haut- oder Haarfarbe. Eine bewusste Setzung, vorgenommen vielleicht auch deswegen, weil Petras jüngst aufgrund rassistischer Vorfälle am Düsseldorfer Schauspielhaus in die Medienöffentlichkeit geraten war. Mit spielerischen Behauptungen, meist schlaglichtartig skizziert der Regisseur Petras den jeweiligen Zeitgeist. Patricia Talacko liefert schicke, ideenreiche Kostüme dazu – mal einen golden glänzenden Anzug, mal Federkopfschmuck mal eine leuchtend orangene Schlaghose.

Mit großer Selbstverständlichkeit schlüpfen die Dar­stel­le­r*in­nen in die verschiedenen Rollen, vollkommen unabhängig von Geschlecht, Haut- oder Haarfarbe

Das Rauschen der Welt

Zwischen den Zeitenwechseln erzählen aufwendige, mit dem Ensemble gedrehte Videos oder Bild-Collagen vom Rauschen der Welt, von Kriegen, Demonstrationen, geopolitischen Verhandlungen und Weltraumeroberungen, von Erdölförderung, Ressourcenverschwendung, Gewinnoptimierung und von der blutigen Arroganz der Industriestaaten.

Das Problem des Abends, und damit auch des Stücks: Er sucht 150 Jahre Erdöl-Geschichte zu erfassen und kann – natürlich – auf der Bühne nicht die erforderliche Komplexität herstellen. Trotz aller Spielfreude des Ensembles spürt man immer wieder eine Unentschlossenheit seitens der Regie zwischen dokumentarischer Verpflichtung und szenischer Behauptung. Da ist ein ständiges Suchen, zwischen Video und Spiel; ein Erzählstrang oder ein dramaturgischer Rhythmus entsteht nicht. Mal vertieft sich Petras in psychologische Spielszenen, erzählt Mutter-Tochter-Konflikte mit allen pubertierenden Nebensächlichkeiten, mal lässt er den Zuschauer schemenhaft im Unklaren.

Es bleiben zusammenhanglose Episoden, bei denen – auch durch ihre immer wieder wechselnde Besetzung – der dramaturgische Faden verloren geht. Vielleicht wurde der Abend vom eigenen Anspruch überrollt: von dem Versuch sowohl Vergangenheit, Gegenwart als auch eine drastische Zukunftsvision zu erzählen. Was bleibt, ist ein unruhiges Historienlehrstück, das die einzelnen Epochen zwar aufwendig zeichnet, aber weder Spannung, Haltung oder gar Wut versprüht.

Nächste Vorstellung: Sa, 26. 6., 19.30 Uhr, Staats­theater Hannover

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